Mobilfunk: Wissenschaftler im Widerstand

Vorsorgepflicht des Staates eingefordert
Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie fordert die Vorsorgepflicht des Staates ein.

Unser Grundgesetz garantiert die Vereinsfreiheit. Bürger dürfen sich organisieren, um ihren Ansichten, Wünschen und Kritiken Nachdruck zu verleihen und dafür Mitstreiter zu gewinnen. Vereine sind auch legitime Lebensräume, in dem die Mitglieder ihre Vorstellungen realisieren können. Alles freilich im Rahmen der Gesetze, die sich die Gesellschaft als Ganzes mittels ihrer politischen Strukturen gegeben hat. Da aber auch die Meinungsfreiheit zu unseren verbürgten Grundrechten gehört, ist es völlig legal, wenn von Vereinen und Bürgerinitiativen Entscheidungen des Staates - bis hin zu parlamentarisch verabschiedeten Gesetzen - auch öffentlich in Frage gestellt werden. Umso mehr gilt dies dann, wenn gewählte Institutionen ihren verfassungsgemäßen Pflichten nicht nachkommen. Zu den wichtigsten dieser Pflichten gehört der Schutz der Bevölkerung vor Gefahren, speziell auch vor solchen, die von der stürmischen und längst nicht mehr überschaubaren Technikentwicklung ausgehen. Denn da Letztere wesentlich vom Markt vermittelt wird, kommt es immer wieder zu Interessenkonflikten. Der Vorteil der einen wird nicht selten zur Bedrohung für andere. Und gerade da ist der Staat gefragt, der die Gesamtinteressen und die legitimen Interessen einer jeden Minderheit zu vertreten hat. Tut er das nicht, hat die Zivilgesellschaft das Recht und eigentlich auch die Pflicht zum gewaltlosen Widerstand, um Fehlentwicklungen zu korrigieren. In dieser Pflicht sieht sich die 2007 gegründete „Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e. V.“

Über ihr Selbstverständnis und ihre Ziele sprachen wir mit ihrem Vorsitzenden, Professor Dr. Karl Richter in St. Ingbert (Saarland).

Gedankensplitter aus dem Interview:

  • Wir werfen den Verantwortlichen vor, dass die geltenden Grenzwerte für den Mobilfunk, auf die sie sich berufen, die Bevölkerung nicht schützen, sondern ernsthaft gefährden. Sie sind ein wissenschaftlich untaugliches Konstrukt und gehen am Stand der Erkenntnis völlig vorbei. Das kann und das darf man nicht auf sich beruhen lassen! Noch beraten wir darüber, wie wir im Einzelnen juristisch vorgehen sollten, welcher Weg wohl der aussichtsreichste ist. Vielleicht wird es auch ein Nebeneinander unterschiedlicher Vorstöße geben. Eine Klage gegen die Bundesregierung gehört sicherlich dazu.
  • Im Sinne unserer Ziele wurde von uns vor kurzem die Arbeitsgemeinschaft Mobilfunk gebildet, in der sich Bürgerwelle e. V., Diagnose-Funk aus der Schweiz, unsere Kompetenzinitiative, Mobilfunk Bürgerforum e. V. und das Netzwerk Risiko Mobilfunk zusammengefunden haben. Für gemeinsame oder wenigstens übergreifende Aktionen. Auch unsere positiven Kontakte zu Kommunen, Kirchen und zu Journalisten nehmen zu. Es gibt notwendige Aktionen, für die wir besser „vernetzt“ vorgehen, andere wieder, bei denen ein getrenntes Handeln mehr Erfolg verspricht.
  • Die Themen, die wir aufwerfen, vor allem aber unsere konsequente Position in Sachen Mobilfunk ist für viele Kollegen - vor allem jene, die noch aktiv im Berufsleben stehen - mit deutlichen Ängsten besetzt. Dennoch: Der Rückhalt unter Wissenschaftlern nimmt zu. Recht ermutigend. Selbst zu Politikern der führenden Parteien ergeben sich immer wieder neue, fruchtbringende Kontakte. Übrigens hoffen wir auch auf Verbündete in der Wirtschaft. Denn im Rahmen unseres Vereins gibt es auch Initiativen zur Entwicklung neuer technischer Alternativen sowohl schnurgebundener als auch schnurloser Kommunikation ... Über dem Interesse an einem bequemen Profit sollte unsere Wirtschaft die Zukunft der Kommunikation lieber doch nicht verschlafen.
  • Die Tendenz zu einer Art neuer politischer Gewalt im Rahmen der Verfassungsordnung ist offenbar eine objektive Notwendigkeit. Das hängt aus meiner Sicht mit einem Phänomen zusammen, das der Journalist Jürgen Leinemann als politischen Höhenrausch beschrieben hat: Der länger währende Genuss und die Verteidigung der Macht, so meinte er, haben zu einer Wirklichkeits- und Bürgerferne der Politik bzw. der Politiker geführt. Nur eine sehr kurze Zeitspanne, nämlich immer wenn Wahlen anstehen, sind auch wir Normalverbraucher einigermaßen Subjekte der Demokratie. Danach werden wir ganz schnell wieder zu Objekten politischer Verfügung.
Artikel veröffentlicht:
05.08.2009
Autor:
Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis von PROVOkant
Quelle:
PROVOkant Ausgabe 3/09
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