Handys und "Die Macht der Unerreichbarkeit"

Das Handy als Unterdrückungsinstrument
Henri Huhki Edelbauer erläutert in einem Artikel, warum Handys Unterdrückungsinstrumente darstellen.

Vor zwei Jahrzehnten fielen die Leute, an denen ein Mobiltelefon baumelte, noch auf. Heute baumeln wir alle unauffällig am Handy. Totale Erreichbarkeit, früher eine Horrorvorstellung, ist zum Standard geworden; Kinder, die mit ihr aufwachsen, kennen nicht, was wir einmal ›Privatleben‹ nannten. Das freut die so genannte Wirtschaft.

Sozialer Suizid?

Ich werde ab Sommer diesen Jahres auf den Gebrauch von Mobiltelefonen verzichten. Seit ich meine Umgebung behutsam darauf vorbereite, höre ich immer das nämliche: Dann bist du ja nicht mehr erreichbar! Zu denken gibt mir der leicht entsetzte Blick, von dem diese Warnung begleitet wird. Quasi: Paß auf, das ist gesellschaftlicher Selbstmord. Hätte ich angekündigt, in Zukunft das trappistische Schweigegelübde auf mich zu nehmen, könnte die Irritation nicht größer sein.

Andere fühlen sich selbst zum Schweigen verdammt: Wie soll ich dich denn dann erreichen?, fragte bang besorgt eine philosophische Mitkämpferin, mit der ich seit Jahrzehnten zusammenarbeite. Ja, wie hat sie mich denn in der Festnetzzeit erreicht?

Dann gibt es verkappte Vorwürfe, ein kommunikativer Eigenbrötler, ja ein fernmündlicher Parasit zu sein: Aha, du ziehst dich also aus dem Verkehr und setzt auf die Erreichbarkeit der anderen! Tu ich das? Was hat es überhaupt auf sich mit dieser misteriösen ERREICHBARKEIT, immer und überall, die uns früher nie abgegangen ist und ohne die niemand mehr auskommen will?

Nützliche Handyoten.

Bei allen gesellschaftlich wahnwitzigen Trends zählt zuerst die Frage: Cui bono? Wem nützt’s? Und da sehe ich ganz klar, wer profitiert und wer die Zeche zahlt.

Psychologisch betrachtet, sind die handlichen akustischen Folterinstrumente ausgezeichnete Trainingsgeräte. Schon Kinder lernen so, immer auf Abruf zu leben, stets auf ein Signal hin verfügbar zu sein. Immer Rechenschaft zu geben: Wo bist du jetzt? Was machst du gerade?

Denn genau das will später der ›Arbeitgeber‹ wissen, der in Wahrheit die Früchte deiner Arbeit nimmt und daraus seinen Profit zieht.

Überhaupt geht das Argument: »Handys werden doch privat viel intensiver verwendet als beruflich« windschief am Problem vorbei. Denn die totale telefonische Mobilisierung führt zur strafferen Organisation gesellschaftlich notwendiger, aber unbezahlter Arbeit, deren Löwenanteil noch immer Frauen verrichten. (»Meine Liebe, du bist wirklich unbezahlbar; was täten wir nur ohne dich?«)

Ich glaube, es ist kein historischer Zufall, daß die ›Cellphone‹-Welle in den USA später anbrandete als bei uns. Die Amerikanerinnen arbeiten etwa soviel wie bei uns, nur weit öfter gegen Bezahlung, in einem offiziellen Beschäftigungsverhältnis.

Dagegen werden ›private‹ Verrichtungen, wie Kochen und Verköstigen, Feiern organisieren oder Rasenmähen in den Staaten meistens von Profis verrichtet. Deshalb ist der indirekte Nutzen des Handys für die so genannte Wirtschaft in Europa ungleich größer als in den USA. Denn nun kann die Gratisarbeit österreichischer, deutscher und italienischer Frauen ›effizienter‹ organisiert werden, sodass man auch mehrfache Mütter noch zwischendurch in McJobs auspressen kann. Selbstrationalisierung am heimischen Arbeitsplatz schafft freie Zeit zum Ausgebeutetwerden draußen.

Verfügung statt Fügung.

Dass der Preis für die totale akustische Mobilisierung die Spontanität des Alltags ist, steht nicht in den Handy-Verträgen. Die Kontrollgier der meisten Menschenwesen wächst mit den Kontrollmöglichkeiten. Je mehr wir auch unser Privatleben planen, organisieren, entwerfen, desto weniger kann uns überraschen, erstaunen, beflügeln. Immer seltener geben wir dem Geschick Gelegenheit, unser Leben zu lenken, wir vertrauen statt dessen unserer Geschicklickeit als Zeitmanager.

Wenn ich zurückblicke, dann beruhen die meisten glücklichen und wunderbaren Wendungen auf zufälligen Treffen und gelegentlichem Verpassen – zwei Ereignisarten, die durch das Handy auf der roten Liste aussterbender Situationen gelandet sind.

Die mobile Telefonie beseitigt einen Gutteil der natürlichen Anmut des Lebens, sie killt den Charme des Unerwarteten. Deshalb sage ich mich von ihr los. Nicht nur aufgrund der gesundheitlichen Bedenken.

Mein Rat: Erzählt euren Bekannten, dass euch das Handy Migräne oder Alpträume beschert hat. Erzählt am Arbeitsplatz, der Arzt habe eure Leistungsminderung auf Mobiltelefonate zurückgeführt. Sammelt Studien über die Schädlichkeit dieser Unterjochungstechnologie. Oder werdet offensiv, macht den Leuten klar, daß Erreichbarkeit Abhängigkeit bedeutet.

Und wenn das alles nichts hilft:
ZERSTAMPFT DIE HANDYS, KAPPT DIE MASTEN !

Zum Autor

HUHKI absolvierte eine Laufbahn als Tierwärter (Schönbrunn),
Liedermacher, Opernsänger (Wr. Kammeroper/opera
mobile Basel ), Gentechnikreferent (GLOBAL 2000) und
Wirtschaftsjournalist und ist derzeit als Universal-Freischaffender
in der Hinterbrühl tätig.

Artikel veröffentlicht:
20.08.2008
Autor:
Henri 'Huhki' Edelbauer
Quelle:
Erstveröffentlichung in der österr. Zeitschrift BRENNSTOFF Nr. 12/2008, Artikel veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis des Autors.

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