Handy-Strahlung stresst die Gene

Basler Studie bestätigt Erbgutschädigung
So sorglos wie Millionen Schweizer mit dem Handy telefonieren, kann man nur zu einem Schlus gelangen: Der Mobilfunk muss unbedenklich sein.

Die Wissenschaft indes ist sich nicht so sicher. Zwar wurden die UMTS-Sendeantennen von einer Schweizer Studie kürzlich zumindest insofern entlastet, als diese das Wohlbefinden der Probanden nicht beeinträchtigten. Grössere Sorgen als die Sendemasten sollten uns die Mobilgeräte machen. Beim Telefonieren ohne Freisprechanlage entstehen die elektromagnetischen Felder direkt am Kopf und können dort zu einer Belastung führen, die bis zu einer Million Mal über der von Sendeantennen liegt. Und das hat Folgen, wie Primo Schär vom Zentrum für Biomedizin der Universität Basel kürzlich auf einer Veranstaltung der Forschungsstiftung Mobilkommunikation berichtet hat: Elektromagnetische Felder stressen auch unterhalb der geltenden Grenzwerte unsere Gene. Konkret kann diese Strahlung dazu führen, dass Erbgutstränge brechen, zumindest in gewissen Zelltypen. «Ob diese Schäden zu nachhaltigen Genveränderungen führen, wissen wir noch nicht», sagt Schär, der in Zürich noch unveröffentlichte Resultate präsentierte.

Eine österreichische Studie geriet ins Kreuzfeuer der Kritik
Zum selben Ergebnis kam eine österreichische Studie im Rahmen des europäischen Reflex-Projekts bereits vor zwei Jahren. Diese Arbeit von Forschern um Hugo Rüdiger von der Universität Wien geriet aber ins Kreuzfeuer der Kritik.
Die Resultate waren unerwartet und verlangten nach einer Bestätigung. Soweit Schär seine Daten ausgewertet hat, deutet alles darauf hin, dass die Wiener Forscher Recht behalten: Sowohl niederfrequente Felder, wie sie etwa von Hochspannungsleitungen abgestrahlt werden, als auch hochfrequente Felder vom Handy können das Erbgut schädigen. Vergleichbar mit den Versuchen in Wien hat der Basler Molekulargenetiker in Petrischalen gezüchtete Bindegewebszellen einem Magnetfeld ausgesetzt, das etwa so stark war, wie es die Grenzwerte fordern. Sowohl bei nieder- als auch bei hochfrequenter Strahlung nahm die Anzahl Brüche im Erbgut, der DNA, schwach, aber statistisch eindeutig zu. Das gilt sowohl für die Bindegewebszellen eines 42-jährigen Mannes als auch für entsprechende Zellen eines sechsjährigen Knaben, wenngleich die Charakteristik der Schäden je nach Alter der Spender unterschiedlich war. Schär wählte eine Bestrahlungszeit von 15 Stunden, da die Anzahl Brüche in den Reflex-Studien bei dieser Zeit ein Maximum erreichte. Danach und insbesondere nach Ende der Bestrahlung gingen die Erbgutschäden zurück. Verblüffend ist, dass die Schäden nur dann auftraten, wenn das Magnetfeld in Intervallen von einigen Minuten an- und abgeschaltet wurde. Mit dieser periodischen Bestrahlung sollte der übliche Umgang mit dem Handy simuliert werden. War das Feld dagegen permanent vorhanden, war keine signifikante Zunahme der DNA-Brüche messbar. Wie Schär betont, deuten Brüche in der DNA nicht unbedingt auf eine nachhaltige Schädigung der Zelle hin. Auch ohne die Einwirkung elektromagnetischer Felder entstehen unzählige DNA-Brüche im normalen Lebenszyklus unserer Zellen. Doch den Zellen stehen effiziente Mechanismen zur Verfügung, um solche DNA-Schäden wieder zu reparieren. Die Abnahme der Brüche nach 15 Stunden Exposition deutet darauf hin, dass die Reparaturmechanismen der Zelle greifen. Das wiederum heisst nicht, dass von elektromagnetischen Feldern ausgelöste Erbgutschäden unbedenklich sind, selbst wenn sie repariert werden. Denn die Reparatur könnte fehlerhaft sein. Insbesondere von Umweltgiften, Röntgenstrahlung und starker UV-Strahlung ist bekannt, dass sie DNA-Brüche hervorrufen, die von der Zelle nur mangelhaft geflickt werden und daher zu nachhaltigen Erbgutdefekten führen. Solche Defekte können die Entwicklung von Krebs begünstigen. «Ob die beobachteten DNA-Brüche gut- oder bösartig sind, können erst künftige, weit aufwändigere Experimente klären», sagt Schär.

Zu denken geben die Resultate der Studien allemal
Weitestgehend im Dunkeln tappen die Forscher bei der Suche nach einer Erklärung, wie die verwendeten, relativ geringen Feldstärken überhaupt DNA-Brüche auslösen können. Schär vermutet, dass dies nicht direkt durch die Felder geschieht, wie es etwa bei hoch energetischer Röntgenstrahlung der Fall ist. Vielmehr könnte die Strahlung von Handys und Hochspannungsleitungen aggressive Zellgifte bilden, so genannte Radikale, die das Erbgut stressen. Sicher ist das keineswegs. Rätselhaft ist auch, warum DNA-Brüche nur auftreten, wenn das Magnetfeld periodisch ein- und ausgeschaltet wird, nicht aber bei permanenter Exposition, und warum nur gewisse Zelltypen betroffen sind. Ob sich die zahlreichen Handynutzer in trügerischer Sicherheit wiegen und welchen Gefahren Menschen ausgesetzt sind, die in der Nähe von Hochspannungsleitungen leben, lässt sich auf Grund dieser Studien nicht zuverlässig sagen. Zu denken geben die Resultate aber allemal. Angesichts der Unsicherheit empfiehlt Schär, vorerst nach dem Prinzip «weniger ist mehr» zu handeln: möglichst wenig mit dem Handy am Ohr telefonieren und wenn, dann ein Mobilgerät benutzen, das einen niedrigen SAR-Wert besitzt und daher wenig Leistung im Körper deponiert.

Artikel veröffentlicht:
11.07.2006
Autor:
Joachim Laukenmann | SonntagsZeitung
Quelle:
SonntagsZeitung vom 9. Juli 2006 | Rubrik: Wissen

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