Mobilfunk und Menschenrechte

Dr. Eduard Christian Schöpfer, Salzburg
Laut Konvention der Menschenrechte hat der Staat das Leben und die Gesundheit seiner Bürger:innen zu schützen. Mobilfunk und Menschenrechte: Was tun?

Angesichts des aktuellen Stands der Forschung und der immer häufiger werdenden Klagen der Bevölkerung über gesundheitliche Beschwerden durch von GSM-Sendern ausgehende elektromagnetische Strahlung wird immer deutlicher, dass die ungeprüft auf den Markt geworfene Mobilfunktechnologie gesundheitliche Risiken in sich birgt.1

Ungeachtet dessen besteht nach der derzeitigen Rechtslage keinerlei Möglichkeit für Betroffene, gegen von Mobilfunkanlagen ausgehende Immissionen vorzugehen. Anrainer:innen haben kein Mitspracherecht, was die Errichtung von Sendeanlagen anlangt. Die in der Mobilfunkpetition vom 30. 11. 1999 (!) und auch von der Volksanwaltschaft geforderte Verankerung von Anrainerrechten im Telekommunikationsgesetz (TKG 2003), BGBl. I 70/2003, ist nach wie vor ausständig.

Bedenken aus Sicht der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergeben sich insbesondere hinsichtlich des den Betroffenen verweigerten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 6 [1] EMRK) während des telekommunikationsrechtlichen Bewilligungsverfahrens bzw. im Bauverfahren. Dazu kommt, dass die Gerichte nach wie vor von einem strikten, dem völker- und gemeinschaftsrechtlichen Vorsorgeprinzip klar widersprechenden Kausalitätsnachweis ausgehen und vom Geschädigten verlangen, den Beweis zu erbringen, dass seine gesundheitlichen Beschwerden auf einen Mobilfunksender zurückzuführen sind.2

Es bestehen ernste Zweifel, dass die derzeitige Rechtslage und die rigorose Rechtsprechung3 der Gerichte mit der positiven Verpflichtung Österreichs gemäß der EMRK vereinbar ist. Nämlich, das Leben und die Gesundheit seiner Bürger im Wege geeigneter gesetzgeberischer Maßnahmen zu schützen und ihnen effektive Rechtsdurchsetzungsmechanismen im Sinne des Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz) zur Wahrung ihrer Konventionsrechte (Recht auf Achtung der Wohnung, der körperlichen Unversehrtheit, der Privatsphäre, der Familie; Recht auf Eigentum und auf Leben) zur Verfügung zu stellen.

In der Weigerung der österreichischen Gerichte, die Beweislast für gesundheitliche Schädigungen dem Verursacher aufzubürden bzw. eine Prüfung der als verletzt erachteten Konventionsrechte vorzunehmen, ist auch eine Verletzung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht gemäß Art. 6 (1) EMRK zu erblicken. Die geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen zur Genehmigung von Fernmeldeeinrichtungen können nicht ohne weiteres auf die neuartige und offensichtlich gesundheitlich bedenkliche Mobilfunktechnologie übertragen werden. Laut § 73 (2) TKG 2003 muss bei der Errichtung und dem Betrieb von Funkanlagen der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen gewährleistet sein.

Diese Bestimmung kann angesichts ihres allgemein gehaltenen Wortlauts (ein bereits seit längerem gefordertes "Gesetz zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung" wurde bis dato nicht erlassen) und ihrer Auslegung durch die Behörden die strengen Anforderungen der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in keiner Weise erfüllen. Die Behörden gehen ja so vor: Keine Prüfung im Einzelfall, es wird grundsätzlich eine Genehmigung erteilt, da von der generellen, aber falschen Voraussetzung ausgegangen wird, dass von Mobilfunkstationen ohnehin keine gesundheitsschädlichen Auswirkungen zu befürchten sind. Laut Judikatur des EGMR müssen aber Eingriffe in konventionsgeschützte Rechte auf Basis einer zugänglichen, ausreichend bestimmten und vorhersehbaren Rechtsgrundlage ergehen.

Was besonders auffällt und Anlass zu großer Besorgnis gibt, ist die Untätigkeit des Gesetzgebers, also letzten Endes die Negierung der berechtigten Sorgen zahlreicher Bürger:innen seitens der politisch Verantwortlichen. Die Einrichtung des Wissenschaftlichen Beirats Funk (WBF) durch Infrastrukturminister Hubert Gorbach vermag an diesem Befund nichts zu ändern, da die Diskussion über die mutmaßliche Gefährlichkeit von Mobilfunkanlagen und Handys damit keineswegs, wie behauptet, auf eine sachliche Basis gestellt wird.

Somit stellt sich einmal mehr die Forderung nach der Einreichung einer Beschwerde wegen gesetzgeberischer Untätigkeit an den Verfassungsgerichtshof, die etwa von der Volksanwaltschaft eingebracht werden könnte. Es hat sich auch gezeigt, dass die bestehenden Grundrechte nur unvollständigen Schutz vor Gesundheitsbeeinträchtigungen der vorliegenden Art bieten können, so dass die Frage nach einem verfassungsgesetzlich verankerten "Grundrecht auf Gesundheit" erneut diskutiert gehört.

Zwar bedeutet die Rechtsprechung der Höchstgerichte für Betroffene einen herben Rückschlag, andererseits aber auch eine Chance, da das Erfordernis der Erschöpfung des letztinstanzlichen Instanzenzugs vor Einbringung einer Beschwerde in Straßburg weggefallen sein müsste. Der Einzelne kann sich nunmehr direkt an den EGMR wenden, ohne zuvor die Gerichte angerufen zu haben, da er nach der derzeitigen Gesetzeslage und Rechtsprechung ohnehin keine Aussicht auf Erfolg hat, Abhilfe für die von ihm behaupteten Menschenrechtsverletzungen zu bekommen. Damit sollte auch der Weg für eine Sammelklage von Geschädigten frei sein, die wesentlich mehr Gewicht als vereinzelte Beschwerden hätte.

Am 16. Dezember findet am Österreichischen Institut für Menschenrechte in Salzburg (Edmundsburg, Mönchsberg 2) eine Podiumsdiskussion zum Thema "Mobilfunk, Mensch und Recht" statt.1 Vgl. dazu Mara Marken, Machen Handys und ihre Sender krank? (2. Auflage 2004); Thomas Grasberger/Franz Kotteder, Mobilfunk - ein Freilandversuch am Menschen (2003); Karl Richter/Hermann Wittebrock (Hrsg.), Kommerz, Gesundheit und demokratische Kultur (2005). Siehe auch die am 19. 11. 2005 verabschiedete Resolution der Österreichischen Ärztekammer zu "Mobilfunkanwendungen und Gesundheit". 2 Vgl. den Beschluss des OGH vom 2. 8. 2005, 1 Ob 146/05k, wo dieser zur Klage einer Mieterin ausführte, allein die "subjektive Besorgnis einer wissenschaftlich nicht erwiesenen Gefährdung" stelle noch keine objektive Beeinträchtigung des Gebrauchs des Bestandobjekts dar, die eine Mietzinsminderung rechtfertige. 3 So hat etwa der VwGH in seinem Erkenntnis vom 16. 9. 1997, Zl. 97/05/0194, festgestellt, dass die Beschwerde eines Herzkranken hinsichtlich der behaupteten Beeinflussung seines Herzschrittmachers durch die Errichtung eines Sendemastens angesichts der alleinigen (!) Kompetenz der Fernmeldebehörden, Aspekte der Gesundheit und des Lebens von Menschen wahrzunehmen, abzuweisen sei. 4 Vgl. die vom WBF gestaltete Beilage "Mobilfunk und Gesundheit" in der Tageszeitung "Die Presse" vom 6. 11. 2004, in der Besorgnis erregende Ergebnisse wie etwa jene der deutschen "Naila-Studie" aus dem Jahr 2004 keinerlei Erwähnung finden.

Artikel veröffentlicht:
06.12.2005
Autor:
Kommentar von Dr. Eduard Christian Schöpfer, Salzburg.
Quelle:
Veröffentlicht auf diagnose:funk mit freundlicher Genehmigung des Autoren.
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