Vorsorgliche Emissionsbegrenzung

Bau neuer MF-Anlagen auf unbebautem Grund
Die vorsorgliche Emissionsbegrenzung beim Bau neuer Mobilfunkanlagen auf unbebauten Parzellen darf nicht auf den Zeitpunkt einer möglichen Überbauung hinausgeschoben werden.

Laut einem neuen Urteil des Bundesgerichts sind grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Anlage die Grenzwerte einzuhalten, die im Falle einer zonen- und baurechtskonformen Überbauung gelten würden.

Grenzwerte sind sofort einzuhalten

Die Baukommission der Stadt Wil hatte am 8. November 2004 die Bewilligung für den Neubau einer Mobilfunkantennenanlage auf der Parzelle Nr. 2592 an der Bronschhoferstrasse erteilt. Das Grundstück ist der dreigeschossigen Wohn-Gewerbe-Zone zugeteilt und mit einem zweigeschossigen Gebäude überbaut. Die Mobilfunkantennenanlage soll auf
einem 30 m hohen Mast südlich der Baute platziert werden. Das Baudepartement und das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen bestätigten die Baubewilligung, doch hat nun das Bundesgericht eine dagegen gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde von Anwohnern gutgeheissen.

Strahlenberechnung unverzichtbar

In Lausanne war einzig noch streitig, ob die geplante Antennenanlage den Anlagegrenzwert auf den angrenzenden, unüberbauten Parzellen Nrn. 43 und 2924 einhält. Das Verwaltungsgericht vertrat wie schon das Baudepartement die Auffassung, dass auf eine Strahlen-Berechnung für die in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen maximal mögliche Nutzung verzichtet werden könne, weil es keinerlei Hinweise darauf gebe, dass die beiden Grundstücke mit 20 m hohen Häusern überbaut würden. Die Beschwerde führenden Anwohner machten dagegen geltend, es sei geplant, auf diesen Parzellen Schulbauten zu errichten.
Nach Auffassung des Bundesgerichts müssen schon im Zeitpunkt der Inbetriebnahme der Mobilfunkanlage die Grenzwerte eingehalten werden, die im Falle einer zonen- und baurechtskonformen Überbauung der Parzellen gelten würden. Nicht überbaute Bauzonen sind damit grundsätzlich gleich zu behandeln, wie wenn die nach der geltenden Planung dort möglichen Bauten bereits existieren würden. Besteht noch keine konkrete Planung, so gilt das gesamte baurechtlich zulässige Volumen als Ort mit empfindlicher Nutzung (OMEN). Entgegen der Auffassung von Verwaltungsgericht und Baudepartement gibt es aus Sicht des Bundesgerichts keinen Grund, für unüberbaute Parzellen in der Zone für öffentliche Bauten die vorsorgliche Emissionsbegrenzung auf den Zeitpunkt der Überbauung der Parzelle zu verschieben. Ein vollständiger Verzicht auf Berechnungen der nichtionisierenden Strahlung (NIS) für unüberbaute Grundstücke in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen könnte sich höchstens ausnahmsweise rechtfertigen, wenn feststeht, dass das Areal für ein Vorhaben ohne Orte mit empfindlicher Nutzung bestimmt ist wie etwa eine Kläranlage ohne ständig benutzte Arbeitsräume.

Teilweise weit überschrittener Grenzwert

Im beurteilten Fall liegen die fraglichen Parzellen in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen und damit in einer Zone, in der Bauten wie Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Alters- und Pflegeheime erstellt werden können. Mit dem kantonalen Verwaltungsgericht geht das Bundesgericht davon aus, dass auf den unüberbauten Parzellen gemäss kantonalem Baugesetz und kommunalem Baureglement bis zu 20 m hohe Bauten errichtet werden könnten, die einen Grenzabstand von 10 m einhalten müssten. Unter dieser Voraussetzung wäre der Anlagegrenzwert auf der Parzelle Nr. 2924 eingehalten, auf der Parzelle Nr. 43 dagegen mit 9.6 V/m weit überschritten.

Bauhöhe zukünftiger Gebäude massgebend

Die kantonalen Behörden hatten allerdings geltend gemacht, die mögliche maximale bauliche Ausnützung der beiden Parzellen sei rein theoretischer Natur. Das Bundesgericht räumt ein, dass sich die Auffassung vertreten lasse, Schulgebäude würden kaum je eine Höhe von 20 m erreichen, schon gar nicht am nördlichen Stadtrand von Wil, in einer von kleinen Wohnhäusern geprägten Umgebung. Gemäss den vorliegenden Berechnungen wird jedoch der Anlagegrenzwert auf der Parzelle Nr. 43 bereits ab einer OMEN-Höhe von 9.6 m über Boden nicht mehr eingehalten. Dies entspricht einer Fussbodenhöhe des obersten möglichen Stockwerks von 8.1 m. Dass allfällige Schulgebäude eine solche Höhe erreichen könnten, erscheint dem Bundesgericht nicht von vornherein ausgeschlossen. Anders verhielte es sich allerdings, wenn eine aus dem Jahre 1949 stammende Überbauungsordnung noch anwendbar wäre, die höchstens dreigeschossige Gebäude erlaubte. Das Bundesgericht hat daher die Sache an das kantonale Verwaltungsgericht zurückgewiesen, das nun prüfen muss, ob die Überbauungsordnung noch anwendbar ist. In diesem Fall müsste die Baubewilligung bestätigt werden. Dasselbe gilt, falls aus anderen Gründen die Erstellung von öffentlichen Bauten mit OMEN in 9.6 m Höhe oder mehr auf der Parzelle Nr. 43 klar ausgeschlossen werden kann. Andernfalls müsste die Baubewilligung abgeändert werden (Urteil 1A.278/2006 vom 21. Juni 2007).

Artikel veröffentlicht:
05.09.2007
Autor:
Markus Felber, Bundesgerichtskorrespondent der Neuen Züricher Zeitung
Quelle:
Hauseigentümerverband Schweiz, 24.08.2007

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