MdL Dr. Martin Runge zu Mobilfunk/Elektrosmog

Aktuelles aus den deutschen Gerichten
Nachdem sich die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in den vergangenen Jahren eher zum Negativen gedreht hatte (siehe etwa die Beiträge von Frank Sommer und von Martin Runge in: Runge/Sommer /Oberfeld, Mobilfunk, Gesundheit und die Politik, Münster 2006), gab es in den letzten Monaten und Wochen eine Reihe von für uns durchaus erfreulichen Entscheidungen bzw. Entwicklungen.

Mobilfunk/Elektrosmog – Aktuelles aus den deutschen Gerichten

Nachfolgend Wesentliches in Kurzform:

1. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat mit Urteilen vom 20.06.2006 und vom 13.02.2007 zwei Landratsämtern (Cham und Regensburg) Recht gegeben, die den Bau von Mobilfunk-Sendeanlagen (37 bzw. 55 Meter hoch) im Außenbereich, jeweils auch im Landschaftsschutzgebiet, vor allem wegen der Beeinträchtigung des Landschaftsbildes abgelehnt hatten.

2. Der BayVGH hat ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Würzburg aufgehoben und entschieden, dass die Stadt Schweinfurt die (nachträgliche) Genehmigung für zwei Sendeanlagen in einem reinen Wohngebiet verweigern darf.

3. Der BayVGH hat mit Urteil vom 2. August 2007 zwar zwei Betreibern in ihrer Auseinandersetzung mit der Stadt Dachau Recht gegeben. Dies lag aber wieder einmal an der leidigen Problematik des zu zögerlichen Vorgehens seitens der Kommune bei den entsprechenden Festsetzungen in der Bauleitplanung („Voraussetzungen einer hinreichend wirksamen Veränderungssperre nicht erfüllt“, „kein hinreichend konkretes positives, mit dem bauplanungsrechtlichen Instrumentarium realisierbares Planungskonzept“). Sehr erfreulich an der Entscheidung des BayVGH sind jedoch die nachfolgenden Leitsätze:

Bei Hochfrequenzfeldern, zu denen auch auf baulichen Anlagen fest installierte Antennen für den Betrieb von Mobilfunknetzen zählen, liegt für Einwirkungen durch elektromagnetische Strahlungen keine abschließende Regelung des vorsorgenden Gesundheits- und Umweltschutzes vor.

§ 6 der 26. BImSchV stellt klar, dass weitergehende Anforderungen aufgrund anderer Rechtsvorschriften unberührt bleiben. Hierunter können auch Festsetzungen eines Bebauungsplans fallen.

Nachfolgend wesentliche Aussagen des BayVGH im Zitat: „… weshalb die Gemeinde die Grenzwerte nicht im Wege der Bauleitplanung abschwächen darf. Das hindert die Gemeinde aber nicht, im Rahmen ihrer Planungsbefugnisse die Standorte für Mobilfunkanlagen mit dem Ziel festzulegen, für besonders schutzbedürftige Teile ihres Gebiets einen über die Anforderungen der 26. BImSchV hinausgehenden Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch elektromagnetische Felder zu erreichen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 der 26. BImSchV). Die Regelungen des BundesImmissionsschutzgesetzes beschränken sich nicht auf die Schutzvorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG und damit auf die Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 BImSchG. Mit dem immissionsschutzrechtlichen Vorsorgegrundsatz (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) verfolgt das Gesetz auch das Ziel eines vorbeugenden Umweltschutzes. Da Immissionsschutz- und Bebauungsrecht in einer Wechselwirkung zueinander stehen, darf auch Bauleitplanung diesem Ziel dienen. Soweit dies nach § 1 Abs. 3 BauGB städtebaulich gerechtfertigt ist (und die weiteren allgemeinen Anforderungen an die Bauleitplanung, insbesondere das Abwägungsgebot, beachtet werden), darf die Gemeinde ihre bauleitplanerischen Mittel auch zum Zweck eines über die immissionsschutzrechtlichen Erheblichkeitsschwellen hinausgehenden, vorbeugenden Gesundheits- und Umweltschutzes (vgl. § 1 Abs. 6 Nrn. 1 und 7 BauGB) einsetzen (…).“

„Dem steht - bei Anlagen, für die die 26. BImSchV gilt - die (konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich des Immissionsschutzrechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) nicht entgegen (a. A. OVG RhPf vom 7.8.2003 ZfBR 2004, 184). Soweit der Bund keine abschließenden Regelungen getroffen hat, sind bei einer Materie der konkurrierenden Gesetzgebung landesrechtliche Regelungen nicht ausgeschlossen (vgl. Art. 72 Abs. 1 GG). Jedenfalls bei Hochfrequenzanlagen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1, § 2 der 26. BImSchV), zu denen auch auf baulichen Anlagen fest installierte Antennen für den Betrieb von Mobilfunknetzen zählen (vgl. BR-Drs. 393/96 S. 14), liegt für Einwirkungen durch elektromagnetische Strahlungen keine abschließende Regelung des vorsorgenden Gesundheits- und Umweltschutzes vor (Kutscheidt, Die Verordnung über elektromagnetische Felder, NJW 1997, 2481/2484; Herkner, Mobilfunk in der Bauleitplanung, BauR 2006, 1399/1402; vgl. auch BGH vom 13.2.2004 NJW 2004, 1317); insbesondere stellt die 26. BlmSchV insoweit keine abschließende Regelung dar. Ziel der Verordnung ist es zwar, durch verbindliche Maßstäbe die gebotenen Schutz- und Vorsorgemaßnahmen sicherzustellen. Weitergehende Vorsorgeanforderungen sind damit aber nicht ausgeschlossen (vgl. die Begründung zur 26. BlmSchV, BR-Drs. 393/96 S. 11 und S. 24). Dementsprechend stellt § 6 der 26. BlmSchV klar, dass weitergehende Anforderungen aufgrund anderer Rechtsvorschriften unberührt bleiben. Hierunter können auch Festsetzungen eines Bebauungsplans fallen.“

„Nach derzeitigem Erkenntnisstand liegen zwar verlässliche wissenschaftliche Aussagen über gesundheitsschädliche Wirkungen elektromagnetischer Felder unterhalb der geltenden Grenzwerte nicht vor. Da solche Wirkungen nicht gänzlich ausgeschlossen werden können (BVerfG vom 24.1.2007 NVwZ 2007, 805; vom 28.2.2002 NJW 2002, 1638; zum Erkenntnisstand vgl. auch BT-Drs. 15/1660 S. 41), gibt es für eine vorsorgende Bauleitplanung auf diesem Gebiet aber sachliche
Gründe.“

4. Im Falle einer Auseinandersetzung zwischen der Gemeinde Aßling, Landkreis Ebersberg, und dem Mobilfunkbetreiber O2, hat O2 seine Klage vor dem VG München zurückgezogen, nachdem die zuständige Richterin signalisiert hatte, dass die Gemeinde sehr wohl das Recht habe, sich um Alternativstandorte zu bemühen und dass der Bauantrag zurückgestellt werden könne. Das Interessante an diesem Fall ist, dass die Gemeinde Aßling mit ihrem Bemühen „Festsetzung von Standorten über die Bauleitplanung“ erst nach Eingang des Bauantrages von O2 begann. Konkret ging es um einen Standort im Außenbereich. Hier sind Vorrangflächen für Sendemasten festzusetzen, was dann eben bedeutet, dass in den anderen Gebieten keine Sendemasten errichtet werden dürfen. Im Außenbereich dürfen bekanntlich keine Veränderungssperren erlassen werden, daher ist mit dem Instrument der Zurückstellung zu arbeiten.

5. Gleich in mehreren Fällen war der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Auseinandersetzungen zwischen der Großen Kreisstadt Kitzingen und Mobilfunkbetreibern befasst. Hier wurden die Spielräume für die Stadt gestärkt. Einmal wurde eine Ortsgestaltungssatzung abgesegnet, in welcher unter anderem geregelt war, dass Sendeanlagen in ihrer Höhe den Dachfirst nicht überschreiten dürfen, selbst dann, wenn sie verkleidet sind. Selbstverständlich darf durch eine derartige Satzung nicht die Errichtung von Mobilfunk-Sendeanlagen grundsätzlich unmöglich gemacht werden. Zum anderen war die Frage aufgeworfen, ob über das Instrument der Ausnahme in einem Allgemeinen Wohngebiet eine Genehmigung erteilt werden muss, wenn schon zahlreiche Sendeanlagen („Antennenwald“) vorhanden sind. In der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes wurde der Stadt in Abänderung eines Urteils des Verwaltungsgerichts Würzburg bescheinigt, dass es keine Ermessensreduzierung auf Null geben würde. Konkret ging es um die Erweiterung um drei UMTS-Antennen mittels zusätzlich angebrachter Ausleger an zwei bereits vorhandenen Antennenträgern, die sich wiederum auf dem Flachdach eines Altersheimes befinden, welches bereits zahlreiche andere Sendeanlagen „zieren“. Das Verwaltungsgericht Würzburg hatte die Stadt zur Erteilung der Ausnahme verpflichtet, zu Unrecht, wie jetzt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied. Die Stadt muss/darf den Antrag jetzt neu bescheiden. Dabei wurde ihr vom Verwaltungsgerichtshof mit auf den Weg gegeben, dass sie „die drei UMTS-Antennen aus Zweckmäßigkeitsgründen nur im Rahmen eines schlüssigen Rückbaukonzeptes ablehnen könne, das konkrete bauaufsichtliche Maßnahmen gegen den vorhandenen Antennen-Wildwuchs voraussetzt“.


Dr. Martin Runge, ehem. Mitglied des bayer. Landtages
Ehem. Vorsitzender des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten des Bayerischen Landtags, wirtschaftspolitischer Sprecher und Sprecher des Arbeitskreises II (Haushalt, Finanzen, Ökologie, Verkehr, Verbraucherschutz, Landwirtschaft, Europa, Wirtschaftspolitik ...) der GRÜNEN im Bayerischen Landtag, Medienrat

Publikation zum Thema

Seitenanzahl: 216 Veröffentlicht am: ISBN-13: 978-3-89688-288-2Sprache: DeutschHerausgeber: agenda Verlag GmbH & Co.

Mobilfunk, Elektrosmog und die Politik

Streitschrift und Ratgeber
Autor:
Dr. Martin Runge, Frank Sommer und Dr. Gerd Oberfeld
Inhalt:
Der vorliegende Sammelband „Mobilfunk, Gesundheit und die Politik“ beleuchtet das Thema von verschiedenen Seiten, was trotz der Vielschichtigkeit des „Untersuchungsgegenstands“ gut gelingt. Das Buch ist klar strukturiert und im Verlauf der Lektüre erschließt sich die Klammer, die alle Beiträge verbindet: Im Mittelpunkt steht immer der Mensch, ob als Verbraucher, als Patient, als mündiger Bürger und Wähler. Die einzelnen Artikel stammen aus erster Hand. Beispiele hierfür sind die pointierte Zusammenfassung der REFLEX-Studie von Professor Adlkofer, wissenschaftlicher Leiter dieser EU-Studie, für die zwölf Institute aus sieben Ländern die gentoxischen Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder untersucht haben. Oder der bisher in dieser Form noch nicht veröffentlichte Aufriss russischer und US-amerikanischer Untersuchungen zur Thematik Gesundheit und Elektrosmog aus den 50er und 60er Jahren von Professor Hecht, Emeritus der Berliner Charité. Gleichermaßen interessant wie erschreckend sind auch die in einem Beitrag zusammengefassten Erfahrungen und Folgerungen aus der ärztlichen Praxis.
Artikel veröffentlicht:
30.04.2008
Autor:
MdL Dr. Martin Runge | Veröffentlicht auf diagnose:funk mit freundlicher Genehmigung des Autoren.

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