Digitaler Polizeifunk: Türme des Unwillens

Artikel in der Süddeutschen Zeitung
Die Proteste gegen den digitalen Polizeifunk nehmen zu – aus Angst vor den Strahlen und aus Wut auf die Politik.

München. 90 Meter entfernt von ihrem Haus soll er stehen, der Turm. Mitten im Wohngebiet „Hopfhauer Höhe“, wo Clemens Bail mit seiner Familie seit sieben Jahren wohnt. 250 Meter weit weg vom Kindergarten, den sein Sohn Ramon besucht und 350 Meter von der Grundschule, in der seine älteren Kinder Maxi und Clara lernen. Mitten in der Stadt Ebersberg plant das Land Bayern eine Antenne für den neuen digitalen Polizeifunk. „Und das, ohne uns Bürger vorher zu fragen“, sagt Clemens Bail, der eine Initiative gegen den Bau gegründet hat.

Kaum jemand kann den bis zu 60 Meter hohen Ungetümen aus Beton oder Metall entrinnen. Etwa 4300 Antennenmaste werden benötigt, um die Bundesrepublik mit Digitalfunk auszustatten. Etwa 930 wurden bisher installiert. Fast überall beschweren sich Menschen, dass riesige Türme in ihrer Nachbarschaft hochgezogen werden – einfach so, ohne sie vorher zu informieren. Die Politik hat offenbar nichts gelernt – auch gegen Mobilfunkantennen wird bis heute protestiert.

Bürgerinitiativen werfen den Behörden „Geheimniskrämerei“ vor.

Die Einführung des Digitalfunks für Polizei und Feuerwehr ist eine Geschichte voller Pleiten, Pech und Pannen: Zum einen sollte das mit 500 000 Nutzern bald weltweit größte Funknetz seiner Art schon seit Jahren flächendeckend installiert sein. Zum anderen ist es deutlich teurer geworden als geplant, und die verwendete Technik „Tetra“ gilt bei Experten schon als veraltet. Und jetzt rebelliert auch noch das Volk. „Wir sorgen uns um die eventuellen Folgen der Strahlungen“, sagt Clemens Bail und verweist auf Studien aus dem Ausland. Dort klagen Menschen über Kopfschmerzen bis hin zu Eskalationen chronischer Erkrankungen. Die Bundesanstalt für Digitalfunk zitiert hingegen Untersuchungen, die eine Gesundheitsgefährdung negieren. Eine finale Analyse des Bundesamts für Strahlenschutz wird 2013 erwartet.

Das treibt die Menschen um, denn die Türme werden jetzt gebaut und nicht erst in drei Jahren. Fingerspitzengefühl bei der Standortwahl wäre also gefragt. Im Internet gibt es zahlreiche Diskussionsforen und Websites, in denen Betroffene die „Geheimniskrämerei“ der zuständigen Behörden kritisieren. Hannover, Köln, Ulm, Heidelberg, Stuttgart und das brandenburgische Birkenwerder sind nur ein paar Beispiele, wo sich Initiativen gegründet haben. Redet man mit deren Sprechern, kann jeder von ihnen viele weitere Orte nennen, wo es Zwist gibt. Ein Vertreter eines Bundeslandes, der mit dem Projekt vertraut ist, bestätigt diesen Eindruck, möchte aber nicht genannt werden: „Es gibt Länder, die haben mit den Bürgern zusammengearbeitet, andere haben einfach nur von oben herab Fakten geschaffen.“ Beim Deutschen Städte- und Gemeindetag wird diplomatisch von „unterschiedlichen Abläufen“ gesprochen Die Innenministerien der Länder reden das Problem klein – die meisten berichten nur von einzelnen Beschwerden und teilweise organisierten Protesten. Rheinland-Pfalz, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen geben an, von nichts gehört zu haben. Ein Vertreter eines anderen Bundeslandes, der auch nicht genannt werden möchte, hält das für unglaubwürdig. „Überall gibt es Ärger“, sagt er.

Voraussichtlich Ende 2012 sollen nun alle Antennen „aufgebaut und mit Technik versehen“ sein, gibt die Bundesanstalt Auskunft. Experten glauben, dass dieser Termin schwierig einzuhalten sein wird. Denn Verhandlungen mit wütenden Anwohnern über den richtigen Standort kostet Zeit. Die Ebersberger Initiative „Digitalfunk mit Grenzen“ hatte im Februar zunächst einen Bürgerantrag gestellt. Mitte März wurde im Gemeinderat verhandelt. Das Ergebnis: Der Turm wird gebaut. Es standen zwei Standorte zur Auswahl. Der Aussichtsturm außerhalb der Stadt und das Polizeigelände mitten in Ebersberg. Die Planungsgruppe „Diginet“ des bayerischen Innenministeriums entschied sich für den Standort der Polizei. Nun hat die Initiative gegen den Turmbau eine Petition im Bayerischen Landtag eingereicht. 300 Ebersberger haben unterschrieben. Sie kritisieren, dass es „keine Transparenz im Verfahren“ gegeben habe.

Das bayerische Innenministerium will das Problem nun „offen und breit diskutieren“.

Wo überall Masten gebaut oder Antennen errichtet werden, sei aus Sicherheitsgründen geheim, so die Berliner Bundesanstalt. Spätestens aber, wenn es um die konkrete Umsetzung geht, sprich den Turmbau, kommt Licht ins Dunkle. Beim Aufbau des Digitalfunks werde in der erster Linie auf vorhandene Standorte des Staates zurückgegriffen, heißt es aus der Anstalt. Wenn möglich auf schon bestehende Türme. Und weiter: „Die Länder haben die Aufgabe übernommen, geeignete Standorte zu finden und zu akquirieren.“ Im nächsten Schritt wird dann Kontakt mit den Kommunen aufgenommen. Sind also die Gemeinden an allem schuld? Die Bürgermeister bestreiten das. Der Bau eines neuen Antennenturms oder die Aufrüstung eines bereits bestehenden brauche kein besonderes Genehmigungsverfahren, sagen sie. Das bestätigt die Bundesanstalt. „Es genügt meist ein einfacher Bauantrag.“ Die Gemeinden können also ohne handfeste Gründe nicht gegen ein Turmbau stimmen. Die Protestgruppe „Kein Funkturm im Wohngebiet“ mit 200 Mitgliedern im brandenburgischen Hohen Neuendorf war dennoch erfolgreich und hat erreicht, dass der 60 Meter hohe Antennenmast am Stadtrand gebaut wird.

Aber selbst in Ländern, die sich rühmen, mit den „Bürgern vorher Gespräche zu führen“, schreitet der Turmbau nicht konfliktlos voran. Nach Problemen in den Kommunen hat der bayerische Innenstaatssekretär Gerhard Eck (CSU) Ende Mai angekündigt, das Thema nun „offen und breit zu diskutieren“. „Wir haben das Vorgehen geändert“, sagte er. Obwohl es vorher schon Regionalkonferenzen gab, gibt es in Bayern viele Proteste. Baden-Württemberg sei sich der Problematik von vorneherein bewusst gewesen und habe behutsam mit den Bürgern nach Lösungen gesucht, heißt es aus dem dortigen Innenministerium. Niedersachsen hat Teams eingerichtet, die Bürger per Power-Point-Präsentation über die Risiken aufklären. Auch in Brandenburg gab es Info-Veranstaltungen. Trotzdem haben sich Initiativen gebildet.

Aber wenn Gespräche nicht mehr helfen, geht es vor Gericht. In Swisttal bei Köln kämpft die Initiative „Der Turm muss da weg“ mit 150 Mitgliedern um die Versetzung eines bestehenden Sendemastes auf dem Gelände der Bundespolizei. Das Verwaltungsgericht Köln hatte einen Baustopp zuvor abgelehnt. „Wir haben dagegen jetzt beim Oberverwaltungsgericht Beschwerde eingelegt“, sagt Initiativen-Sprecher Ferdinand Tempel. Momentan ruht das Verfahren. Die Kommune möchte reden. Wieder einmal.

© Süddeutsche Zeitung GmbH, München.
 

Artikel veröffentlicht:
22.07.2010
Autor:
Maximilian Weingartner | veröffentlicht auf diagnose:funk mit freundlicher Genehmigung von www.sz-content.de (Süddeutsche Zeitung Content).
Quelle:
Süddeutsche Zeitung Politik, Seite 7, Donnerstag, 01. Juli 2010

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