Mobilfunk-Netzausbau

Landesregierung könnte mehr tun

Zeitungsinterview mit Jörn Gutbier
Herrenberg. Ist eine gute Mobilfunkversorgung möglich, wenn man gleichzeitig die Strahlenbelastung minimiert? Seit dem Jahr 2007 haben Kommunen die Möglichkeit, steuernd einzugreifen, wenn Betreiber Standorte für neue Mobilfunksendeanlagen suchen.

Genehmigt werden die Anlagen zwar von der Bundesnetzagentur, und nicht von den Kommunen. Das Bundesverwaltungsgericht hat im August 2012 aber bestätigt, dass den Kommunen eine Standortplanung nicht grundsätzlich verwehrt werden darf (Az: VG M 11 K 09.1759). Sie können das Baurecht nutzen, um Einfluss zu nehmen. Herrenberg hat diese Möglichkeit genutzt und sich einen Experten des Münchner Umweltinstituts geleistet, um für die Beurteilung von Standorten objektive Kriterien zu haben. Dem Grünen-Stadtrat Jörn Gutbier geht das noch nicht weit genug. Gutbier, der zugleich der bundesweit agierenden Verbraucherinitiative Diagnose Funk vorsitzt, hat im Gemeinderat gefordert, ein umfassendes präventives Konzept zu erstellen und dies notfalls auch gerichtlich durchzusetzen.

Der Architekt Jörn Gutbier wünscht sich von den Städten Mut zur Vorsorge

Dipl.-Ing. Jörn Gutbier im Zeitungsinterview, 2014Bild: Andreas Weise - factum-fotojournal

Herr Gutbier, die Stadt Herrenberg hat ihr kommunales Mobilfunkkonzept in einem Dialogverfahren umgesetzt. Was ist das?

Jörn Gutbier: Dialogverfahren heißt, dass die Vertreter der Bürgerschaft mit den Mobilfunkbetreibern auf Augenhöhe um die verträglichste Lösung verhandeln. Diese Augenhöhe schafft man dadurch, dass der Gemeinderat einen entsprechenden Beschluss zur Vorsorge in Sachen Mobilfunk fasst und einen Gutachter beauftragt. Gleichzeitig wird festgelegt, gegebenenfalls optional, das Baurecht anzuwenden, um die Betreiber zu dem Standort mit den geringsten Immissionen zu zwingen, sollte das Dialogverfahren scheitern.

 

Hat dieses Verfahren der Stadt genutzt?

Die Betreiber traten vorher ziemlich arrogant auf. Aber mit der Beschlussfassung lenkten sie ein, weil sie wissen, sie sitzen jetzt juristisch am kürzeren Hebel. Sie brauchen die Kommune, und deshalb ist es gut, wenn die Kommune ihre Rechte kennt. Herrenberg hat dieses Vorgehen insofern genutzt, als dass jetzt kein Bürger mehr fürchten muss, dass er morgens aufwacht und mitansehen muss, wie sich der Nachbar für ein paar Euro Mieteinnahmen eine potenziell für ihn schädliche Sendeanlage aufs Dach montieren lässt.

Ihnen geht das aber noch nicht weit genug, wie Sie jüngst in einer Sitzung des Gemeinderates sagten. Sie würden gerne mehr Vorsorge betreiben. Wie könnte die aussehen?

Ich streite für mehr Vorsorge, weil ich die besorgniserregende Forschungslage zu den Risiken kenne. Die Dauerbelastung durch Mikrowellenstrahlung steigt ständig. Eine Aufklärung, die den Namen verdient, gibt es nicht.

Können Sie das etwas genauer erklären?

Es gibt beispielsweise keinen Versorgungsauftrag der Mobilfunkbetreiber, der besagt, dass wir die völlige Durchstrahlung von Baumasse und Wohnung hinnehmen müssten, um auch noch die sogenannte Kapazitätsversorgung – das meint die Versorgung mit mobilen Datendiensten und nicht mehr nur mit Telefonie – zwangsweise zu ermöglichen. Hier geht es um die Abwägung von Grundrechtsfragen. Da stehen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und der Schutz der Wohnung den Vermarktungsinteressen von Kapitalgesellschaften gegenüber. Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass hier von einer zigfach stärkeren Strahlenbelastung ausgegangen wird, nur damit auch noch im Keller Online-Spiele möglich sind oder man auch am Rand einer Funkzelle hundert Prozent mobiles Internet zur Verfügung hat, am besten selbst noch hinter Stahlbetonwänden.

Was könnte man dann stattdessen tun?

Kein Anwender muss auf mobile Internetnutzung im Haus verzichten. Nur sollte die Versorgung nicht von außen erfolgen müssen. Wer mehr will, kann eine Verbesserung im Haus mit sogenannten Femto- oder gar Picozellen erreichen. Angeschlossen an die DSL-Leitung kann so eine Zelle mit extrem wenig Leistung die Wohnung oder auch nur einzelne Räume mit superschnellem Mobilfunk versorgen, sodass kein Nebenzimmer oder der direkte Nachbar tangiert werden muss. Und nachts, wenn ich es ganz funkfrei haben will, schalte ich sie einfach aus. So müssten nicht alle Bürger ungefragt eine unnötig hohe Dauerbelastung ertragen. Sogar das Umweltbundesamt und das Bundesamt für Strahlenschutz fordern die Anwendung dieser Alternative, weil solch eine Lösung die Strahlenbelastung des Endgerätenutzers massiv reduzieren kann. Nebenbei wäre dies ein Riesengeschäft für die Bitkom-Industrie. Der dringend geforderte Strahlenschutz wäre dabei ein positives und intelligentes Abfallprodukt.

Hätte das eigentlich auch Auswirkung auf die Wahl der Standorte in Herrenberg?

Für uns würde dies bedeuten, wir könnten die geplante Sendeanlage an der B 28, die zurzeit etwa 200 Meter von Kayh und Mönchberg entfernt errichtet werden soll, locker 400 Meter weiter weg platzieren. Die Strahlenbelastung könnte für alle noch mehr reduziert werden. Und die Landschaft würde nicht an so prominenter Stelle durch einen weiteren 45 Meter hohen Turm verschandelt.

Dabei scheint Herrenberg doch schon vergleichsweise aktiv zu sein.

Dass Städte wie Herrenberg überhaupt steuernd eingreifen können, ist anderen mutigen Kommunen zu verdanken, die die entsprechenden Gerichtsurteile zur Zulässigkeit von kommunalen Mobilfunkvorsorgekonzepten erstritten haben. Ich halte es tatsächlich für sinnvoll, die offenen Fragen zur Versorgungsdichte notfalls gerichtlich klären zu lassen, sollten die Betreiber das genannte Vorgehen nicht akzeptieren.

Das Konzept der Versorgung von außerhalb funktioniert bei kleinen Wohngebieten und Dörfern, siehe Kayh und Mönchberg. Nicht aber in dicht besiedelten Gebieten oder großen Städten.

Klar ist, dass eine Großstadt wie beispielsweise Stuttgart natürlich anders vorgehen muss als etwa Herrenberg. Grüne und SÖS/Linke haben dazu im Gemeinderat vor kurzem auch Haushaltsanträge eingebracht, die vom Grundsatz her vom Umwelt- und Verkehrsministerium des Landes unterstützt werden. Darin geht es um genau diese Punkte – eine Stärkung der kommunalen Handlungsspielräume und Strahlenschutz durch Standortoptimierung. Das heißt, man erstellt ein Strahlenkataster, fängt bei den besonders kritischen Standorten mit extrem hohen Immissionen an und überlegt, ob und wie man hier durch Veränderungen minimieren kann oder ob man einen Standort auch gegebenenfalls mal verlegen muss. Klar ist, dass man nicht nur im Auge behält, wie man die Strahlung minimiert, sondern auch, wie man die Versorgungsqualität beibehält oder verbessern kann. Was sich Herrenberg leisten kann, sollte auch für die Stadt Stuttgart kein Problem darstellen.

Wie könnte dann eine beispielhafte Prävention aussehen?

Unsere Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation Diagnose Funk fordert völlig neue Konzepte, vor allem für verdichtete Siedlungsräume. Wir brauchen kein Dutzend parallel betriebener Mobilfunknetze. Das erhöht auch den Stromverbrauch unnötigerweise. Minimierung durch Vergleichmäßigung heißt das Motto, mit anderen Worten: weg von den stark strahlenden Makrozellen hin zu Kleinzellenstrukturen mit geringster Sendeleistung. Nur auf diese Weise können wir ein und dieselbe Frequenz – ein knappes Gut – vielfältig nutzen, ohne dass dabei Störungen auftreten. Und dann muss die Versorgung von Innenräumen konsequent von der Versorgung außerhalb von Gebäuden getrennt werden, vielleicht auch das Senden und Empfangen – das sind die wichtigsten Ansätze.

Klingt nicht, als wäre das schnell möglich.

Sicherlich nicht sofort. Aber noch mehr Bestrahlung durch weitere Netze und immer mehr Makrosender können wir uns nicht leisten. Darum lautet der Vorschlag der Initiative Diagnose Funk: Wie wäre es, wenn beispielsweise die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg in einem so dicht besiedelten Stadtteil wie dem Stuttgarter Westen ein Pilotprojekt initiieren. Stadt, Betreiber, Entwickler, Hersteller, Hochschulen, Umwelt- und Verbraucherschützer und das Verkehrs-, Umwelt- und Wirtschaftsministerium sollen an einen Tisch sitzen. Das könnte uns Innovationen, neue Produkte, zukunftsfähige Versorgungssysteme und eine höhere Qualität bei niedrigerer Belastung bringen. Die technischen Voraussetzungen sind vorhanden.

Das könnten Sie den Stuttgarter Kollegen doch empfehlen.

Die Fraktion der Grünen hatte das auch vor wenigen Wochen zum wiederholten Male beantragt, denn das stünde natürlich nicht nur einem grünen Oberbürgermeister gut. Alle Seiten könnten glänzen anstatt ständig wegzugucken, die Verantwortung abzuschieben oder sich zu bekämpfen. Und auch hier können wir, wenn wir wollen, den Strahlenschutz, die Minimierung, die Vorsorge als ein Nebenprodukt betrachten. Aber der Antrag ist soweit ich weiß von anderen Fraktionen abgelehnt worden.
Nun heißt es immer, die Hauptstrahlungsquelle, vor der sich der einzelne schützen solle, seien vor allem die eigenen Geräte – und nicht die Sendemasten. Wie passt das nun wieder zusammen?

Die Kommune trägt die Verantwortung dort, wo der Bürger keinen direkten Einfluss nehmen kann. Ob ich in der Nähe einer Sendeanlage wohne, suche ich mir zumeist nicht aus. Bei den anderen Strahlungsquellen wissen die wenigsten Menschen ja, welcher Belastung sie sich täglich aussetzen oder wie sie andere bestrahlen. Was die Stadt hier im Sinne des Verbraucherschutzes tun kann, ist Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung.

Könnte die Stadt nicht mit gutem Beispiel vorangehen?

Sie kann vorangehen, indem sie alle dauerstrahlenden Funkanwendungen in Kindergärten, Schulen und öffentlichen Gebäuden austauscht. Das ist ein Leichtes, kostet wenig und bringt echte Verbesserungen. Bei Funktelefonen gibt es schon lange den Eco-DECT-Standard, der Abschaltung und Leistungsregelung zulässt. Bei WLAN gibt es inzwischen eine neue Generation von Geräten, die einen Ökostandard bieten. Des Weiteren sind Regelungen für den öffentlichen Personennahverkehr vorstellbar, analog zu den Nichtraucherabteilen der 60er Jahre. Denkbar wären Headsets und bei Fahrzeugen Außenantennen als Pflichtausstattung.

Zurück zu der Frage, wie Vorsorge auf politischer Ebene aussehen könnte – Sie sagen, Sie seien im Gespräch mit Landesbehörden. Was versprechen Sie sich davon?

Erstens erwarten wir von der grün-roten Landesregierung, dass sie endlich einen Leitfaden für die Kommunen erstellt – sozusagen das ABC zur Erstellung von Mobilfunkvorsorgekonzepten. Das würde Kommunen viel Geld und Zeit sparen und die politische Diskussion erheblich vereinfachen. Die Kommunen warten darauf. Zweitens: so lange auf Bundesebene nur eine Verordnung und kein Gesetz zur Emissionsbegrenzung besteht, haben die Länder das Recht, die völlig unzureichenden deutschen Strahlenschutzgrenzwerte durch eigene Vorsorgeempfehlungen zu ergänzen. Hätten wir diese Vorsorgewerte, müssten die Betreiber von sich aus genau das vorschlagen, was wir hier diskutieren – Immissionsschutz an der Quelle, die technisch überhaupt kein Problem ist. Und drittens sollten Pilotprojekte zu alternativen Datenübertragungstechnologien unterstützt werden. Damit hätte die Landesregierung alle im Koalitionsvertrag formulierten Ziele zum Thema Mobilfunk bestens erfüllt und stünde nicht ganz so nackig da, wie sie es zurzeit leider tut.

Das Gespräch führte Anja Tröster

Artikel veröffentlicht:
15.01.2014
Quelle:
Stuttgarter Zeitung, Nr. 11, Mittwoch, 15. Januar 2014

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