2011: Möglicherweise krebserregend - 2029: krebserregend!?
2011 gruppierte die IARC, die Krebsagentur der WHO, die nichtionisierende Strahlung in die Gruppe 2B „möglicherweise krebserregend“ ein. Grundlage waren die Ergebnisse der Interphone-Studie für Vielnutzer (mehr als 1.640 Stunden/kumuliert) und die Studien des schwedischen Onkologen und Epidemiologen Lennart Hardell, der für Vielnutzer ein bis zu 5-fach erhöhtes Tumorrisiko nachwies. Bis zum Jahr 2029 plant die WHO eine Neueingruppierung auf Grund des Forschungsfortschrittes.
Die EUA (Europäische Umweltagentur) publizierte im Band II von „Späte Lehren aus frühen Warnungen“ bereits 2016 ein Kapitel über nachgewiesene Krebsrisiken. Nach 2016 wurden dann die Ergebnisse von biologischen Studien, zunächst der US-amerikanischen NTP-Studie, publiziert: Mobilfunkstrahlung kann zu Tumoren führen. Falcioni et al. am Ramazzini-Institut (Italien) bestätigten dann mit ihrer Forschung die Ergebnisse der NTP-Studie. Im Technikfolgenbericht Mobilfunk des Deutschen Bundestages (2023) werden diese beiden Studien als die bisher am besten durchgeführten nach dem Goldstandard gewürdigt:
- „Sodann zeigte sich in zwei aktuellen Studien, die mit einer sehr großen Anzahl an Versuchstieren (Ratten und Mäuse) sowie mit hohem wissenschaftlichem Standard durchgeführt wurden, dass Exposition mit HF-EMF Signalen, wie sie von Mobiltelefonen genutzt werden (GSM und UMTS), zu größeren Inzidenzen bestimmter Tumoren bzw. deren Vorstufen führten. Insgesamt gesehen gehören diese Befunde zu den wichtigsten der letzten Jahre. Da es sich um replizierte Hinweise auf Effekte handelt, sollte ihnen intensiv mit weiterer hochqualitativer Forschung nachgegangen werden. Immerhin stellen sie einen nicht unwesentlichen Aspekt in der Risikobeurteilung für den Menschen dar.“ (S. 117)
Die Beratungsgruppe der Schweizer Regierung BERENIS fordert in einem Sondernewsletter (Nov. 2018) auf Grund dieser Ergebnisse Konsequenzen für eine Vorsorgepolitik. Das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) kritisierte, wie zu erwarten, beide Studien als schlecht gemacht nach seiner Devise: "Alle Wissenschaftler, die positive Effekte nachweisen, verstehen ihr Handwerk nicht!" Ron Melnick vom NTP-Team wies in einem Fachartikel und einem Video-Statement diese Rosinenpickerei und Taktik des Anzweifelns zurück.
Die Studienlage zu Krebs macht das Risiko justiziabel und wird so zu einem realen Schadensersatzproblem für die Industrie. Im Technikfolgenbericht des Bundestages (TAB) heißt es:
- „Auch gerichtlich hat die Evidenzlage Folgewirkungen: 2020 bestätigte die Berufungsinstanz in Turin die Entscheidung eines Gerichts, welches einen Zusammenhang zwischen dem Akustikusneurinom des Klägers und seiner beruflichen frequenten Nutzung eines Mobiltelefons 2017 erkannte“ (S. 148).
Die Gerichte in Italien ließen die Kronzeugen für die Unbedenklichkeit, die Gutachter der
ICNIRP, als industriebefangen nicht zu (Doku Urteile Italien 2023, 2020, 2017, 2012).
Die Studien der österreichischen AUVA-Versicherung bekräftigten ebenfalls das Krebsrisiko durch Nachweise, dass die Strahlung zu oxidativem Stress und DNA-Strangbrüchen (ATHEM 1 & 2 Studien) und zu Chromosomenaberrationen (ATHEM-3-Studie) führen kann. Eine Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz wies eine krebspromovierende Wirkung nach (Lerchl et al. 2015). Neben diesen Großstudien gibt es eine große Zahl an Einzelstudien und Reviews, die Auswirkungen auf die DNA und ein Krebspotential nachweisen (u.a. dokumentiert in der diagnose:funk Datenbank EMF:Data, abrufbar über die Filterfunktion). Die an diesen Studien beteiligten Wissenschaftler weisen in der Regel Zweifel von Industrie und Behörden an der Relevanz dieser Studien für die menschliche Gesundheit vehement zurück.
Ein kurzer Lichtblick: Im Jahr 2005 veröffentlichte das Bundesamt für Strahlenschutz die "Leitlinien Strahlenschutz", die Risiken benannten, auch die Krebsgefahr, und gesetzliche Schutzregelungen einforderten. Auf Druck der Industrie wurden sie ersatzlos zurückgezogen (>>> Dokumentation des Vorgangs). Seit diesem Kniefall, seit nunmehr 20 Jahren, übt sich das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz in der Entwarnung brisanter Studienergebnisse, eine Umbenennung in Bundesamt für Sorglosigkeit würde seine politische Funktion und Entbehrlichkeit adäquat beschreiben. Für diesen Flankenschutz zur Beruhigung der Bevölkerung bedankte sich 2024 auf dem 31. Runden Tisch EMF des Bundesamtes für Strahlenschutz stellvertretend für die IT-Branche Kristofer Steinijans (Telekom): „Die Begleitung durch die Initiative „Deutschland spricht über 5G“ (Dsü5G) wurde als sehr hilfreich empfunden, insbesondere die Moderation bei kleinen Kommunen.“ Besser kann man die dienstbeflissene Funktion des Amtes nicht bestätigen.
Dr. Fiora Belpoggi verteidigt die Ergebnisse der Ramazzini-Studie und weist die Anzweiflungen zurück