Mobilfunksendeanlagen: Rechte der Kommunen und Bürger

Rechtsgutachten: Die Kommunen haben die Pflicht zu Mobilfunk-Vorsorgekonzepten
Die Situation: Anwohner erfahren, dass eine Mobilfunksendeanlage in ihrem Wohngebiet errichtet werden soll. Nur 100 Meter von Häusern entfernt! Besorgt rufen sie beim Bürgermeister oder der Baubehörde an. Die Auskunft der Kommune: „Wir können nichts machen, denn die Mobilfunkbetreiber haben das Baurecht, außerdem soll der Mast auf einem Privatgelände erbaut werden, wogegen die Gemeinde nicht vorgehen kann.“ Doch das sind komplett falsche Auskünfte! Die Kommune ist für ihre Bürgerinnen und Bürger verantwortlich, sie kann den Bau von Mobilfunkanlagen regeln und so Vorsorgepolitik betreiben. Warum und wie das geht, zeigt diagnose:funk in diesem Faktenblatt (Download oder Print-Bestellung s. Artikelende).
Grafik:diagnose

Die Mobilfunkbetreiber haben das Märchen vom „Recht auf Bau ohne Schranken“ in die Welt gesetzt, und der Städtetag sowie die Kommunen beten es nach. Korrekt – aber begrifflich verwirrend – ist die Genehmigungsfreiheit für Mobilfunksendeanlagen bis 15 Meter Bauhöhe in Ortschaften und bis 20 Meter Bauhöhe außer­orts: Der Betreiber hat also das Recht zu bauen – dies muss nicht extra genehmigt werden. Aber: Dieser Vorgang ist nicht verfahrensfrei!

Es gibt also Bedingungen für den Bau einer Antenne: Wo und wie sie gebaut werden darf, das kann die Kommune sehr wohl mitent­scheiden. Und sie sollte es auch im Hinblick auf die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger tun. Der Vergleich mit dem Thema Spielhallen macht es verständlich: Ein Spielhallenbetreiber hat das Recht, eine Spielhalle in einer Kommune zu betreiben, er kann sich aber nicht aussuchen, wo genau. Darüber entscheidet die Gemeinde. Das führt dazu, dass Gemeinden den Bau von Spielhal­len i.d.R. nicht neben Schulen, Kindergärten oder mitten in Wohngebieten erlauben. Dies gilt auch für den Bau von Mobil­funkantennen.

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Die rechtliche Grundlage der Mitbestimmung

Die Grundlage für das Mitplanungsrecht der Kommune ist der § 7a der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung, er lautet:

„Sechsundzwanzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes­ Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über elektromagnetische Felder – 26. BImSchV)

§ 7a Beteiligung der Kommunen

Die Kommune, in deren Gebiet die Hochfrequenzanlage errichtet werden soll, wird bei der Auswahl von Standorten für Hochfre­quenzanlagen, die nach dem 22. August 2013 errichtet werden, durch die Betreiber gehört. Sie erhält rechtzeitig die Möglichkeit zur Stellungnahme und zur Erörterung der Baumaßnahme. Die Ergebnisse der Beteiligung sind zu berücksichtigen.“

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Antennenwildwuchs braucht RegelungBild:diagnose:funk

Die geltenden Regelungen

Wenn ein Mobilfunkbetreiber eine neue Mobilfunksendeanlage aufstellen will, muss die Kommune unterrichtet werden. Die Kommune hat dann 8 Wochen Zeit, darüber zu befinden. Dabei bestehen folgende Optionen:

 

 

 

 

 

  • Der Gemeinderat bestätigt die Standortwahl durch aktive Zusage oder durch Nicht-­Behandlung. Im Fall der Nicht­-Behandlung verstreicht die 8­ Wochenfrist ungenutzt und der Betreiber hat damit das Signal, mit seiner Planung weiter­ zumachen. Insbesondere in Baden­-Württemberg kommt die Nicht-­Behandlung quasi einer Genehmigung gleich. Bürger­meister:innen sollten diese Frist jedoch aktiv nutzen und so das Interesse an Mitbestimmung signalisieren.
  • Die Verwaltung behandelt die Anfrage und teilt den Betreibern innerhalb von 8 Wochen den Gemeinderatsbeschluss mit, dass die Gemeinde ihr Mitspracherecht nach § 7a der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV, siehe Kas­ten) wahrnimmt. Sie teilt dem Betreiber außerdem mit, dass Alternativstandorte (z.B. per Gutachten / Simulation) geprüft oder ein Versorgungs-­ und Vorsorgekonzept (auch in Zusammenarbeit mit der örtlichen Bürgerinitiative) erarbeitet wird. Auf die Vorschläge eines Alternativstandorts muss der Betreiber warten. Von den Betreibern vorgege­bene Suchkreise stellen hierbei i.d.R. nur eine Orientierung dar. Vorgeschlagene Alternativstandorte sollten nach dem Vorsorgeprinzip an der gesundheitsverträglichen Strahlenmi­nimierung ausgerichtet werden. Lehnt der Betreiber die Alternativvorschläge ab, muss er gegen die Gemeinde klagen. Aber in aller Regel geht er das sog. Dialogverfahren mit und stimmt einem immissionsärmeren Alternativstandort zu.

Staatliche (Des-)Informationen

Kommunen in ganz Deutschland wurden immer wieder über diese Rechte unzureichend informiert, so u.a. vom Städte­- und Gemein­detag. Daraufhin schrieben das Bundesumwelt-­ und das Bundes­digitalministerium den sogenannten Schulze­-Scheuer­-Brief vom 30.03.2020 an alle Kommunen. Darin stellen die Ministerien die Rechte der Kommunen klar, wesentliche Originalzitate daraus:

  • "Die Betreiber sind verpflichtet, die Kommunen über ihre Plä­ne zum Netzausbau detailliert zu unterrichten.
  • Die Kommunen haben wiederum das Recht, alternative Stand­orte vorzuschlagen und es steht ihnen bei neuen Funkan­lagen überdies ein Stellungnahme­- und Erörterungsrecht zu.
  • Die Ergebnisse dieser Beteiligung muss der Netzbetreiber berücksichtigen.
  • Es wird erwartet, dass Netzbetreiber auch die Bürgerinnen und Bürger informieren und den konstruktiven Dialog suchen.
  • Die Kommunen werden von den Netzbetreibern bei der Auswahl eines neuen Standortes in jedem Fall um Stellung­nahme gebeten. Die Ergebnisse dieser Beteiligung müssen die Mobilfunkunternehmen berücksichtigen.
  • Alle diese Regelungen gelten für 5G in gleicher Weise wie für die bisherigen Mobilfunknetze."

(Hervorhebungen durch diagnose:funk, Quelle: BMVI / ­BMU: Häufig wieder­ kehrende Fragen zum Ausbau des Mobilfunks, 30.03.2020, Download: diagnose-funk.org/1555)

 

Titelblatt NVwZQuelle: beck-shop.de

Gutachten bestätigt Rechte der Kommunen

Diese Rechte der Kommunen sind ausführlich dargestellt in einem Rechtsgutachten, das die baden­-württembergische Landes­regierung in Auftrag gab. Dort heißt es:

  • „Generell besteht ein großes öffentliches Interesse an einer mög­lichst effizienten, flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungen des Mobilfunks. Sofern dieses Erfordernis entsprechende Berücksichtigung findet, ist es gleichwohl legitim, dass auch die Bauleitplanung für eine möglichst geringe Belastung der Bevölkerung durch Mobilfunkimmissionen Sorge trägt.“

 

  • "Im Rahmen der von Art. 28 GG geschützten Planungshoheit ver­wirklicht die Gemeinde ihre städtebaulichen Ziele. Die Standort­planung für Anlagen des Mobilfunks – idealerweise auf der Grund­lage eines kommunalen Mobilfunkkonzeptes – birgt neben der Zurverfügungstellung öffentlicher Grundstücke ein beträchtliches Steuerungspotenzial."

(Hervorhebungen durch diagnose:funk, Quelle: Corinna Nitsch/Maria­Lena Weiss/Professor Dr. Michael Frey: Kommunale Gestaltungsspielräume im Rahmen des 5G­Ausbaus, NVWZ Jahr 2020, Seite 1642; diagnose-­funk.org/1632)

Damit ist klargestellt: Im Rahmen der kommunalen Gesundheits­fürsorge und des Baurechts kann die Kommune steuernd in die Gestaltung der Mobilfunkinfrastruktur, auch bei Kleinzellen (Anlagen kleiner 10 Watt Sendeleistung), eingreifen. Dazu haben Städte und Gemeinden das Recht.

 

Buchcover: Verlag

Aktuelle Rechtsmeinung: Vom Recht zur Pflicht

Die 2022 erschienene Doktorarbeit von Anja Brückner (Titel: „Kommunale Mobilfunkkonzepte im Spannungsfeld zwischen Vorsorge und Versorgung“) verdeutlicht, dass Kommunen nicht nur das Recht, sondern auch die grundgesetzliche Pflicht haben, ihre Einwohner vor den potenziellen Gesundheitsrisiken der Mobil­funkstrahlung zu schützen. Die Hauptbegründungen von Brückner sind:

 

 

 

1. Die Grenzwerte berücksichtigen nicht den Stand der Forschung und schützen deshalb nicht

Das Hauptargument, der Aufbau von Sendeanlagen sei wegen schützender Grenzwerte unbedenklich, weist Brückner auf Grund der Forschungslage zurück:

  • „Es häufen sich mittlerweile Forschungsergebnisse, die eine Schädlichkeit von biologischen Kraftwirkungen durch Mobil­funkstrahlung beweisen.“ (S. 66)
  • „Der Staat kommt seiner Vorsorgepflicht daher nur hinsicht­lich thermischer Effekte nach. Da athermische Wirkungen trotz aktueller Forschungsergebnisse und vorsorgerelevanten Risikoniveaus nicht in die (Neu­)Berechnung der Grenzwerte der 26. BImSchV eingeflossen sind, sind diese Grenzwerte – bezogen auf Mobilfunkstrahlung in ihrer Gesamtheit – der­zeit ungeeignet, Vorsorge zu bewirken und daher untragbar.“ (S. 50)

 

2. Solange die Bundesregierung ihrer Schutzpflicht nicht nachkommt, können und müssen die Kommunen das tun

In ihrer Dissertation, die einem Gutachten gleichkommt, schreibt Brückner:

  • Da durch die fortschreitende Digitalisierung „eine unüber­schaubare Anzahl an Menschen elektromagnetischer Strah­lung ausgesetzt ist, macht die Erforderlichkeit einer schutz­konformen Auslegung des § 22 BImSchG im Sinne einer generellen vorsorgepflichtigen Norm noch deutlicher … Eine generelle Vorsorgepflicht … sowohl hinsichtlich thermischer als auch athermischer Effekte der Mobilfunkstrahlung – für Gemeinden im Rahmen der Bauleitplanung – ist somit ver­hältnismäßig und notwendig.“ (S.66)
  • Die Gemeinde habe deshalb „gerade hinsichtlich junger Men­schen aufgrund potenziell erhöhter Elektrosensibilität und Schutzbedürftigkeit einen verfassungsrechtlichen Schutz­auftrag“ (S. 132), der u.a. „empfindliche Orte“, „sensible Ein­richtungen“ und „Wohneinrichtungen“ (S. 133) betreffe.

Die Pflicht für ein Mobilfunkvorsorgekonzept ergibt sich also aus der unzureichenden Vorsorge der Bundesregierung, die athermi­sche Effekte in ihrer Risikobewertung weitgehend ignoriert. Athermische Effekte sind biologische Effekte, die sich nicht durch die physikalische Erwärmung von Gewebe durch Mobilfunk­strahlung erklären lassen. Die bestehenden Grenzwerte verfehlen also das Ziel eines umfassenden Bevölkerungsschutzes. Das trifft deshalb auch auf die Standortbescheinigungen der Bundesnetz­agentur zu, die auf den „untragbaren“ Grenzwerten beruhen.

Bild: BI Cavertitz

Mobilfunkkonzepte als kommunale Schutzaufgabe

Im Rahmen des in der EU geltenden Vorsorgeprinzips sind Kom­munen befugt, bereits bei einem Besorgnispotenzial aktiv zu wer­den, ohne dass ein direkter Kausalitätsnachweis für gesundheit­liche Schäden erforderlich ist. Brückner betont, dass die Schutzaufgabe der Kommunen nicht freiwillig (bzw. fakultativ) ist: Solange die Bundesbehörden den Stand der Forschung zu den nicht­thermischen Effekten nicht angemessen berücksichtigen, entsteht aus der wissenschaftlichen Studienlage eine Schutz­pflicht auf kommunaler Ebene.

Kommunen können dieser Pflicht durch die Erstellung von Mobil­funkkonzepten nachkommen. Diese Konzepte sind rechtlich als städtebauliche Entwicklungskonzepte abgesichert und ermög­lichen es den Gemeinden, aktiv Einfluss auf die Standortwahl von Mobilfunkanlagen zu nehmen.

§ 7a der 26. BImSchV sichert den Kommunen dabei ein Mit­bestimmungsrecht. Mobilfunkkonzepte dienen der Strahlungs­minimierung und umfassen Maßnahmen wie die Ausweisung von Alternativstandorten, den Ausschluss sensibler Gebiete im Bebauungsplan sowie den Einsatz alternativer Technologien wie Glasfaser oder Lichtkommunikation (LiFi).

Besonders wichtig ist der verfassungsrechtliche Schutzauftrag der Kommunen für vulnerable Gruppen wie Kinder und Jugend­liche. Brückner argumentiert, dass Gemeinden verpflichtet sind, sensible Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Wohn­gebiete besonders zu schützen. Aus dem ursprünglich als Option verstandenen Mitbestimmungsrecht wird somit eine rechtlich fundierte Pflicht, um den Gesundheitsschutz der Bevölkerung proaktiv sicherzustellen. Mehr dazu auf diagnose-­funk.org/210 .

Erstberatung für Betroffene und Bürgerinitiativen: 069 - 36 70 42 03, Mo + Di 8-10 Uhr

Vertiefende Informationen auf unserer Homepage:

Publikation zum Thema

diagnose:funk
aktuelle Version: 02.05.2025Format: A4Seitenanzahl: 3 Veröffentlicht am: 02.05.2025 Bestellnr.: 410Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Faktenblatt Mobilfunksendeanlagen

Rechte der Kommunen und Bürger
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Die Situation: Anwohner erfahren, dass eine Mobilfunksendeanlage in ihrem Wohngebiet errichtet werden soll. Nur 100 Meter von Häusern entfernt! Besorgt rufen sie beim Bürgermeister oder der Baubehörde an. Die Auskunft der Kommune: „Wir können nichts machen, denn die Mobilfunkbetreiber haben das Baurecht, außerdem soll der Mast auf einem Privatgelände erbaut werden, wogegen die Gemeinde nicht vorgehen kann.“ Doch das sind komplett falsche Auskünfte! Die Kommune ist für ihre Bürgerinnen und Bürger verantwortlich, sie kann den Bau von Mobilfunkanlagen regeln und so Vorsorgepolitik betreiben. Warum und wie das geht, zeigt diagnose:funk in diesem Faktenblatt.
4. vollständig überarbeitete Auflage, 2021Format: A5Seitenanzahl: 96 Veröffentlicht am: 26.05.2021 Bestellnr.: 104Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk | Titelfoto: stock.adobe.com

Kommunale Handlungsfelder

Mobilfunk: Rechte der Kommunen - Gefahrenminimierung und Vorsorge auf kommunaler Ebene
Autor:
diagnose:funk | Dipl.-Ing. Jörn Gutbier
Inhalt:
Diese Broschüre gibt Auskunft, welche Möglichkeiten Gemeinden haben, in die Aufstellung von Mobilfunksendeanlagen steuernd einzugreifen. Es wird aufgezeigt, was Kommunen neben dem sog. Dialogverfahren mit den Betreibern noch alles tun können, um ihre Bürger:innen mit einem Vorsorge- und Minimierungskonzept vor der weiterhin unkontrolliert zunehmenden Verstrahlung unserer Lebenswelt zu schützen. Darüber hinaus wird auf Argumente eingegangen, die in der Mobilfunkdiskussion eine wichtige Rolle spielen: die Grenzwerte, der fehlende Versicherungsschutz der Betreiber, der Mobilfunkpakt der kommunalen Spitzenverbände, die Strahlungsausbreitung um Sendeanlagen, die Messung und Bewertung der Strahlungsstärke, der Diskurs um Sendeanlagen versus Endgeräte, Kleinzellennetze, alternative Technologien u.a.m. Die Kommune ist immer noch die einzige Ebene, auf der zur Zeit ein wichtiger Teil einer neuen, effektiven Art der Mobilfunkvorsorgepolitik zum Schutz der Menschen und der Umwelt eingeleitet und umgesetzt werden kann.
diagnose:funk Flyer
Format: Din langSeitenanzahl: 10 Veröffentlicht am: 12.08.2022 Bestellnr.: 318Sprache: deutschHerausgeber: diagnose:funk

Mobilfunk, Sendeanlagen, Netzausbau. Kommunale Rechte zur Gesundheitsvorsorge wahrnehmen!


Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Ein Mobilfunkmast soll gebaut werden. Welche Risiken sind nachgewiesen? Was können Initiativen fordern? Welche Rechte haben Kommunen? Der bewährte Flyer zu den Risiken von Mobilfunksendeanlagen und den Handlungsmöglichkeiten der Kommunen ist komplett neu erstellt worden. Er fasst die wichtigsten Informationen kurz zusammen, auch für EntscheidungsträgerInnen in den Kommunen.
Artikel veröffentlicht:
17.05.2025
Autor:
diagnose:funk
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