TAB II: Technikfolgenbericht bewertet Studien zu Krebs und Mobilfunk

Analyse der Interpretation der Studienlage
Ausführlich dokumentiert der TAB-Bericht „Technikfolgenabschätzung (TA) – Mögliche gesundheitliche Auswirkungen verschiedener Frequenzbereiche elektromagnetischer Felder (HF-EMF)“ (Bundestagsdrucksache 20/5646) den Forschungsstand zu nicht-ionisierender Strahlung (NIS) und Krebs mit dem Ergebnis, dass signifikante Ergebnisse zur Auslösung und Promotion von Krebs vorliegen. Der Bundestag ist damit über wichtige Ergebnisse informiert. Mit wahren Purzelbäumen wird dann im TAB versucht, diese Ergebnisse mit einer verwirrenden Darstellung von Interpretationen zu zerreden, eine Paralyse herzustellen, die bei einem uninformierten Leser zu der Frage führt: Was gilt nun eigentlich?
Sind sie einem Krebsrisiko ausgesetzt? Darüber geht die wissenschaftliche Debatte.Foto:freepik.com /7089990

Seit 2016 ist in zwei großen Studien, der NTP- und Ramazzini-Studie nachgewiesen worden, dass nicht-ionisierende Strahlung (NIS), wie sie beim Mobilfunk genutzt wird, Krebs auslösen kann.[1] Die Studien von Tillmann (2010) und Lerchl (2015, 2018) weisen zudem nach, dass NIS eine krebspromovierende Wirkung hat.[2] Der TAB betont:

  • „Das Hauptaugenmerk der gesundheitsorientierten EMF-Forschung liegt auf dem Krebsrisiko. Aus Sicht des Strahlenschutzes ist die Frage nach möglichen Langzeitwirkungen, insbesondere von potenziell krebsinitiierenden oder krebspromovierenden Wirkungen, von besonderem Interesse.“ (S. 100)

Download des TAB-Berichtes:

 

„der Anfang vom Ende des Mobilfunks“

Diese Anmerkung eines ehemaligen Mitglieds der deutschen Strahlenschutzkommission im Jahr 2008 über die Bedeutung der Auslösung von DNA-Strangbrüchen durch NIS, wie sie 2004 in der REFLEX-Studien entdeckt wurde, zeigt die ökonomische Tragweite der Krebsdiskussion:

  • „Sollten sie sich bestätigen [die REFLEX-Ergebnisse, Anm. d:f], wäre das nicht bloß ein Alarmsignal, sondern der Anfang vom Ende des Mobilfunks, da DNA-Schäden die erste Stufe zur Krebsentstehung sind.“ [3]

Da die Mobilfunkindustrie nicht das Ende ihres Milliardengeschäftes will, muss sie jeden aufkommenden Krebsverdacht entsorgen. Das geschah in den letzten 20 Jahren auch.

Die erste große Auseinandersetzung wurde um die Ergebnisse der REFLEX-Studien (2004) auf medialer und juristischer [4] Ebene mit härtesten Bandagen geführt. Die Methoden der Auseinandersetzung gegen die REFLEX-Autoren haben die Autoren Leipner / Stall in einem Artikel dokumentiert.[5]

Eine zweite Auseinandersetzung gab es um die WHO-Eingruppierung der NIS im Jahr 2011 in „möglicherweise krebserregend, Stufe 2B“.[6] Hier griff man zur Methode des Lächerlichmachens: In dieser Stufe sei z.B. auch eingelegtes Gemüse, wohlwissend, dass es sich um Fermentierungsprozesse für Gemüse handelt.[7] Diese verharmlosende Sprachregelung übernimmt die Presse bis heute.

Auch der TAB versucht, das WHO-Ergebnis zu relativieren mit dem Argument, die Eingruppierung würde „nicht einstimmig“ geteilt[8], unterschlägt aber, dass ein nahezu einstimmiger Beschluss vorlag.[9] 28 der 29 anwesenden Wissenschaftler der IARC-Tagung (International Agency for Research on Cancer) haben der Eingruppierung zugestimmt, abgelehnt hat mutmaßlich die Vertreterin der Deutschen Strahlenschutzkommission.[10]

Studie Bundesamt für Strahlenschutz

Krebspromovierende Wirkung wird nicht angezweifelt

Nun aber muss der TAB konstatieren, dass sich die Beweislage geklärt hat, durch qualitativ hochwertige Studien, u.a. zur Beschleunigung eines bereits vorhandenen Krebses. Die Studien dazu wurden vom Bundesamt für Strahlenschutz in Auftrag gegeben. Der TAB schreibt:

 

 

 

  • „Neuere Tierstudien zeigen nunmehr erhöhte Inzidenzen. Die DMF-Studie von Lerchl et al. (Lerchl et al. 2015; Lerchl 2018) hat Befunde aus einer früheren Arbeit (Tillmann et al. 2010) bestätigt. Danach zeigen sich bei Mäusen, die mit einem karzinogenen Stoff (hier: Ethylnitrosoharnstoff) behandelt wurden, mehr Leber- und Lungentumore sowie erhöhte Werte von Lymphomen, wenn die Tiere gegenüber HF-EMF exponiert werden. Allerdings konnte kein klarer Dosis-Wirkungs-Zusammenhang gefunden werden.“ (S. 117)

Dieses Ergebnis zur krebspromovierenden Wirkung wird im TAB nicht in Frage gestellt:

  • „Der bedeutendste Befund betrifft eine Tierstudie zu Tumoren (T4). Erhöhte Inzidenzen fanden sich für drei Karzinome (Lunge, Leber, Lymphe). Die Studie konnte damit die Resultate einer Erststudie (Tillmann et al. 2010) bestätigen, die UMTS-Mobilfunk in den Verdacht brachte, die Entstehung von Tumoren im Körper zu begünstigen (Kokanzerogenität).“ (S. 109)
  • „Die Ergebnisse der Pilotstudie von Tillmann et al. (2010) konnten prinzipiell bestätigt und erweitert werden […]. Erhöhte Tumorinzidenzen fanden sich vor allem für das Bronchiolo-Alveolar Karzinom/Adenom und das hepatozelluläre Karzinom/Adenom. In der vorliegenden Studie wurden auch erhöhte Lymphom-Inzidenzen festgestellt. (Klose 2015, S. 2)“ (S. 111)

Die Replikationsstudien zu Tillmann wurden vom Bundesamt für Strahlenschutz in Auftrag gegeben. Ihr Ergebnis, die Tumor promovierende Wirkung, stellt u.a. den Einsatz von WLAN in Kliniken und Reha-Zentren grundsätzlich in Frage.

Abbildung Ramazzini-Studie: Die Rattenkäfige befanden sich in hölzernen, kreisförmigen Vorrichtungen, wie in einer Art Eigentumswohnung. Jedes einzelne Expositionsgerät diente für mindestens 400 Ratten (A). Die Expositionsräume waren vollständig abgeschirmt, um den Effekt der Feldungleichmäßigkeit aufgrund der Reflexion und der daraus resultierenden Interferenzen durch die Wände zu minimieren (Übersetzung DeepL).Quelle: Ramazzini-Studie von Falcioni L et al. - sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0013935118300367

TAB: „Die zwei wichtigsten Befunde“

Die Ergebnisse der NTP- und Ramazzini-Studien werden im TAB ausführlich diskutiert:

  • „Sodann zeigte sich in zwei aktuellen Studien, die mit einer sehr großen Anzahl an Versuchstieren (Ratten und Mäuse) sowie mit hohem wissenschaftlichem Standard durchgeführt wurden, dass Exposition mit HF-EMF Signalen, wie sie von Mobiltelefonen genutzt werden (GSM und UMTS), zu größeren Inzidenzen bestimmter Tumoren bzw. deren Vorstufen führten. Insgesamt gesehen gehören diese Befunde zu den wichtigsten der letzten Jahre. Da es sich um replizierte Hinweise auf Effekte handelt, sollte ihnen intensiv mit weiterer hochqualitativer Forschung nachgegangen werden. Immerhin stellen sie einen nicht unwesentlichen Aspekt in der Risikobeurteilung für den Menschen dar.“ (S. 117)

Damit dokumentiert der TAB für die Politik, die Medien und die Öffentlichkeit, dass es diese Studien gibt und dass sie von bedeutenden Institutionen als maßgebend beurteilt werden. Selbst die industrienahe ICNIRP (International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection) betont in ihrer Stellungnahme die hohe Qualität beider Studien: „Die Studien [...] weisen bemerkenswerte Stärken auf. [...] Dies macht es besonders wichtig, sie im Detail zu betrachten, da die in diesen Studien erzielten Schlussfolgerungen den aktuellen wissenschaftlichen Konsens in Frage stellen.“[11] Die Schlussfolgerungen beider Studien werden von bedeutenden wissenschaftlichen Experten als Beweise des Krebsrisikos gesehen.

Die Beratergruppe der Schweizer Regierung BERENIS schreibt:

  • „Die NTP- und die Ramazzini-Studie entsprechen dem neuesten Stand der Durchführung von Studien an Tieren, da sie während des gesamten experimentellen Verfahrens sowohl strenge Richtlinien in „Guter Laborpraxis“ (GLP) als auch fortschrittliche Verfahrensweisen der Pathologie und Statistik anwandten. Darüber hinaus wurden in beiden Studien verschiedene Dosisgruppen (SAR oder Feldstärke) verwendet, was eine Bewertung von Dosis-Wirkungs-Trends ermöglicht.“
  • „Die Resultate dieser zwei Tierexperimente sind von grosser wissenschaftlicher Relevanz und gesundheitspolitischer Bedeutung, weil gemäss der Einstufung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) positive Ergebnisse aus Tierversuchen mit lebenslanger Exposition bei der Einstufung des Krebsrisikos eines Wirkstoffes bzw. einer Umweltnoxe ein sehr grosses Gewicht haben [...] Beide neuen Tierstudien zeigten trotz methodischer Unterschiede relativ konsistente Ergebnisse bei Schwannomen und Gliomen, und zudem einen dosisabhängigen Trend in Bezug auf eine Zunahme der Karzinogenität dieser Tumoren.“ [12]

Linda Birnbaum, die frühere Leiterin des Nationalen Instituts für Umwelt- und Gesundheitswissenschaften der USA (NIEHS) und des National Toxicology Program (NTP), stellt im Juni 2022 in einem Artikel klar:

  • „Die von NTP und Ramazzini- Institut untersuchten mehreren tausend Tiere entsprachen in etwa der lebenslangen Exposition gegenüber Mobilfunkstrahlung beim Menschen, und beide stellten eine Zunahme der gleichen Tumorarten fest, was die gesammelten Beweise für schädliche Auswirkungen bei niedrigen Werten bestätigt. [...] Die Ergebnisse dieser Studien deuten darauf hin, dass die lange Zeit vertretene Annahme, die Erwärmung sei die einzige Schädigung durch drahtlose Hochfrequenzstrahlung, nicht mehr gültig ist.“[13]

Prof. James C. Lin, emeritierter Professor der Universität von Illinois Chicago, veröffentlichte 2019 einen Fachartikel (siehe diagnose-funk.org/1508), in dem er die Bedeutung der NTP- und der Ramazzini-Studie hervorhebt. Das Studienergebnis hält er für einen „clear evidence“ für Krebs.[14] Prof. Lin war von 2004 bis 2016 Mitglied der ICNIRP, er ist Herausgeber der Fachzeitschrift „Bioelectromagnetics“. Und er war Mitglied des Review-Gremiums, das die NTP-Studie begutachtete. In seinem Artikel weist Lin die Versuche zurück, die Bedeutung der Studienergebnisse herunterzuspielen. In Richtung der WHO und deren Internationaler Agentur für Krebsforschung (IARC) fordert Prof. Lin als Schlussfolgerung aus den beiden Studien: „Es ist an der Zeit, dass die IARC ihre frühere auf epidemiologischen Ergebnissen beruhende Einstufung zur Exposition hochfrequenter elektromagnetischer Felder im Hinblick auf deren Karzinogenität für den Menschen verschärft.“

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Europäische Umweltagentur

Im ersten Band von „Späte Lehren aus frühen Warnungen“ der Europäischen Umweltagentur werden Industrietaktiken der Verschleierung von Risiken analysiert. Die EUA schreibt: „Bei behördlichen Beurteilungen kommt es häufig zu Fehleinschätzungen, weil die Entscheidungsträger bei der Risikoabschätzung auf Informationen eben derjenigen Akteure* angewiesen sind, deren Produkte beurteilt werden.“ (S. 50, S. 210/211) Die Regierung erklärt zwar, dass sie die Sorgen ernst nimmt. Die Risiken können nicht mehr offen geleugnet werden: „Und doch geht die Veröffentlichung von Beweisen für Risiken gelegentlich mit heftigen, doch häufig verdeckten Auslegungstricksereien einher, mit denen versucht wird, Untätigkeit zu rechtfertigen.“ (S. 211) Man spielt auf Zeit. Die Datenlage sei nicht gesichert und reiche zum Handeln nicht aus (S. 146). Regierung und Industrie leiten mit großem Presseaufwand Forschungen ein, sie stellen eine „Paralyse durch Analyse“ (S. 82, S. 93, S. 212) her.

* das TAB Büro beauftragte die Schweizer Mobilfunklobby-Organisation FSM zur Erstellung des Gutachtens über die Forschungslage für den TAB, siehe dazu Artikel I unserer Serie.

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Die Auslegungstricksereien im TAB

Postwendend nach der Veröffentlichung der NTP- und Ramazzini-Ergebnisse versuchten die ICNIRP [15]und das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), ihre Bedeutungslosigkeit nachzuweisen.[16] Unseriös am TAB ist, dass er die Auslegungstricksereien von ICNIRP und BfS, mit denen von den Kernergebnissen abgelenkt werden soll, gleichwertig und ohne deren Interessenhintergrund den signifikanten Ergebnissen gegenüberstellt und so die verwirrende Debatte mitträgt.

Wie bei jedem Experiment ergaben sich bei der NTP-Studie neue Fragen, die in weiteren Forschungen geklärt werden müssen, aber am Kernergebnis nichts ändern. Nach der Taktik „Mit Nebenkriegsschauplätzen verwirrende Debatten“ eröffnen, wird v.a. vom Bundesamt für Strahlenschutz versucht, mit diesen scheinbar „offenen“ Fragen die Studienergebnisse anzuzweifeln.[17] Diese Fragen und Behauptungen sind u.a.:

  • Warum lebten die männliche Ratten, die Krebs bekamen, länger als die der Kontrollgruppe?
  • Warum bekamen weibliche Ratten weniger Krebs als männliche?
  • Die angewandten Feldstärken können nicht mit realer Befeldung verglichen werden.
  • Die Ergebnisse von Tierversuchen können nicht auf den Menschen übertragen werden.

Jede dieser Fragen impliziert: Also kann die Studie insgesamt nicht wissenschaftlich sein. Absicht und Scheinlogik dieser Fragen sind leicht zu durchschauen. Sie sollen von der Tatsache, dass bei den Tieren Krebs ausgelöst wurde, ablenken. Oder ist es ein „Trost“ für die weiblichen Tiere, dass nur die männlichen mehr Krebs bekamen? Warum sollten die Wissenschaftler mit Feldstärken arbeiten, die für reale Situationen nicht relevant sind? Warum macht man dann eigentlich Tierversuche? Das BfS vergibt selbst solche Studien.

Diese Fragen werden nicht mit einem Erkenntnissinteresse aufgeworfen, sondern um die Diskussion vom Kernergebnis, dass in beiden Studien eine krebsauslösende Wirkung nachgewiesen wurde, abzulenken. Ron Melnick, einer der Studienleiter der NTP-Studie, beantwortete in einem Fachartikel[18] diese „offenen“ Fragen und im TAB werden seine Antworten auch im Text teilweise eingeflochten. Dem Leser wird der Eindruck vermittelt: Die Diskussion ist unentschieden, es stehe 1:1. Damit werden Politiker handlungsunfähig gemacht, ein Hauptziel aller von Industrieinteressen gelenkten Debatten dieser Art um ein potenziell toxisches Produkt.

Das Gericht in Italien bestätigte den Zusammenhang von Gehirntumoren und KrebsAppellationsgericht Turin, Wikipedia

Politik handlungsunfähig halten

Es ist nicht akzeptabel, wenn der TAB der Schweizer Lobby-Organisation FSM und deren Angestellten Dürrenberger / Fröhlich, die den TAB mitgeschrieben haben (siehe Artikel I), den Status von unabhängigen Experten verleiht und ihnen ein selbstreferentielles abschließendes Urteil zu diesen Studien zugesteht:

  • „Für Dürrenberger und Fröhlich (2018) liefern die beiden Studien erneut »Verdachtsmomente« aber keine eindeutigen Hinweise, dass Mobilfunkstrahlung negative gesundheitliche Effekte verursacht.“ (S. 147/148)

Nahegelegt wird: Also doch wahrscheinlich nix. Das ist die Methode: Zigaretten verursachen keinen Krebs, gez. Prof. Dr. Marlboro / Gutachter. Dann springt der TAB wieder zur gegenteiligen Meinung:

  • „Hingegen argumentieren Hardell und Carlberg (2019), dass der Hauptgrund für die Einstufung von HF-EMF als »möglicherweise krebserregend« und nicht als »krebserregend« an den mangelnden Erkenntnissen aus Tierstudien lag. Diese NTP- und Ramazzini-Studien wurden explizit beauftragt, um diese Wissenslücke zu schließen. Zu diesen beiden gesundheitlichen Folgen wurden statistisch signifikante Ergebnisse vorgelegt und somit neue relevante Erkenntnisse generiert.“ (S. 148)

Um dem dann wieder entwarnende Aussagen gegenüberzustellen. So vermeidet man Schlussfolgerungen.

Damoklesschwert Justiz

Die Darstellung der Studienlage zu Krebs im TAB endet mit einem Hinweis auf ein italienisches Gerichtsurteil:

  • „Auch gerichtlich hat die Evidenzlage Folgewirkungen: 2020 bestätigte die Berufungsinstanz in Turin die Entscheidung eines Gerichts, welches einen Zusammenhang zwischen dem Akustikusneurinom des Klägers und seiner beruflichen frequenten Nutzung eines Mobiltelefons 2017 erkannte.“ (S. 148)

Die Gerichte in Italien ließen die Kronzeugen für die Unbedenklichkeit, nämlich Gutachter der ICNIRP, mit denen TAB-Autoren und das BfS vernetzt sind, als industriebefangen nicht zu. Der TAB gibt ihnen aber den Status gleichberechtigter Experten.

Dieser abschließende Hinweis auf das italienische Urteil kann allerdings auch als Vorwarnung an die Politik verstanden werden. Befassen sich deutsche Gerichte in Zukunft unvoreingenommen mit den Ursachen von Gehirntumoren, könnte das zu einer Prozesswelle führen, ähnlich den Urteilen in Italien.

Titel: Nomos-Verlag

Die TAB-Methode widerspricht den eigenen Lehrbuchvorgaben

Die Methode, die sich im TAB durchzieht, haben Michaels / Monforton in einem Artikel zur Industrietaktik analysiert.[19] Darin schreiben sie:

  • „Sie engagieren Wissenschaftler, die zwar nicht leugnen, dass ein Zusammenhang zwischen der Exposition und der Krankheit besteht, aber so argumentieren, dass "die Beweise nicht schlüssig sind". Infolgedessen ist ein lukratives Geschäft mit Wissenschaft auf Bestellung entstanden“ (M&M, S. 6)

 

  • „Berater in den Bereichen Epidemiologie, Biostatistik und Toxikologie werden häufig von Industriezweigen beauftragt, um Daten anzufechten, die von Regulierungsbehörden bei der Entwicklung von Gesundheits- und Sicherheitsstandards verwendet werden. Diese Berater analysieren oft Studien, die positive Ergebnisse berichtet hatten, neu, wobei die erhöhten Krankheitsrisiken in der Neuanalyse verschwinden." (M&M, S. 6)

Genau das findet im TAB statt. Das ist nicht zu akzeptieren und widerspricht der Aufgabenstellung, die Armin Grunwald, der Vorsitzende des TAB im Bundestag, in seinem Lehrbuch „Technikfolgenabschätzung“[20] definiert:

  • „Technikfolgenabschätzung (TA) ist in einer zeitgeschichtlichen Situation als wissenschaftliche Reaktion auf politische und gesellschaftliche Problemwahrnehmungen zu komplexen Technikfolgenproblemen, Unsicherheiten, Konflikten und Orientierungsproblemen entstanden. Gesellschaft und Politik erwarten von der TA eine vorausschauende, konstruktive und verantwortliche wissenschaftliche Bearbeitung und Reflexion dieser Probleme.“ (S. 2)
  • „In der TA als wissenschaftliche Politikberatung geht es um Folgen von Wissenschaft und Technik für politische Handlungsfelder, etwa Umwelt-, Digitalisierungs- oder Landwirtschaftspolitik. Das Ziel der TA ist, dort zu einer informierten und möglichst reflektierten Entscheidungsfindung beizutragen. Dazu müssen Alternativen geprüft und in Bezug auf ihre Folgen und Implikationen analysiert, bewertet und verglichen werden.“ (S. 119)

Prof. Armin Grunwald schreibt zu den Zielen eines TAB:

 „Der TA soll helfen, in der unvermeidbaren Ambivalenz der Technik und des technischen Fortschritts gute Wege in die Zukunft zu finden.“ (S. 46)

Diesen Weg verbaut der TAB. Dennoch ist der TAB nutzbar, wenn man ihn richtig liest.

Quellen

[1] National Toxicology Program (2018): Toxicology and Carcinogenesis Studies in Hsd: Sprague Dawley SD Rats Exposed to Whole-Body Radio Frequency Radiation at a Frequency (900 MHz) and Modulations (GSM and CDMA) Used by Cell Phones. North Carolina, https://ntp.niehs.nih.gov/ntp/htdocs/lt_rpts/tr595_508.pdf (22.10.2020)

Falcioni, L.; Bua, L.; Tibaldi, E.; Lauriola, M.; de Angelis, L.; Gnudi, F.; Mandrioli, D.; Manservigi, M.; Manservisi, F.; Manzoli, I.; Menghetti, I. et al. (2018): Report of final results regarding brain and heart tumors in Sprague-Dawley rats exposed from prenatal life until natural death to mobile phone radiofrequency field representative of a 1.8 GHz GSM base station environmental emission. Environmental research 165, S.496–503

[2] Tillmann, T.; Ernst, H.; Streckert, J.; Zhou, Y.; Taugner, F.; Hansen, V.; Dasenbrock, C. (2010): Indication of cocarcinogenic potential of chronic UMTS-modulated radiofrequency exposure in an ethylnitrosourea mouse model. International journal of radiation biology 86(7), S.529–541

Lerchl, A. (2018): Synergistische Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder in Kombination mit kanzerogenen Substanzen – Kokanzerogenität oder Tumorpromotion? Vorhaben 3615S82431. Ressortforschungsberichte zum Strahlenschutz. Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (Hg.), Salzgitter (BfS-RESFOR, 130/18). http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0221-2018011014465 (22.10.2020)

Lerchl, A.; Klose, M.; Grote, K.; Wilhelm, A.; Spathmann, O.; Fiedler, T.; Streckert, J.; Hansen, V.; Clemens, M. (2015): Tumor promotion by exposure to radiofrequency electromagnetic fields below exposure limits for humans. Biochemical and biophysical research communications 459(4), S.585–590

[3] Alexander Lerchl (2008): Fälscher im Labor und ihre Helfer, Books on Demand, S. 43

[4] diagnose:funk (2021) : Das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen verurteilt Professor Alexander Lerchl zur Rücknahme seiner Fälschungsbehauptung gegenüber der REFLEX-Studie, www.diagnose-funk.org/1662

[5] Ingo Leipner / Joachim Stall (2021): Chronik eines Rufmords, Kapitel aus dem Buch „Moderne Rattenfänger“, Redline Verlag, Download: www.diagnose funk.org/1934 , Anhang II

[6] www.diagnose-funk.org/929

[7] www.diagnose-funk.org/1085

[8] „Bezüglich der Einschätzung des Krebsrisikos für Menschen hat sich die Sachlage in den letzten ca. 10 Jahren nicht wesentlich verändert. Die Einschätzung der IARC (Internationale Krebsforschungsagentur der WHO) kann als eine in der Wissenschaft breit geteilte Basis genommen werden, wenngleich diese nicht einstimmig geteilt wird. In dieser Einschätzung wurden HF-EMF der Kategorie 2B zugeordnet: möglicherweise kanzerogen  (IARC Working Group on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans 2013, S. 419).“(TAB, S. 117)

[9]Hence, by an almost unanimous decision, RF-EMF was declared to be a possible human carcinogen“ schrieb Prof. Meike Mevissen in Ihrem Bericht zur IARC-Tagung, an dem sie als Beobachterin teilnahm, für das WIK-EMF, 3/2011, S. 6: https://microwavenews.com/sites/default/files/docs/IARC.RF.Mevissen.Portier.2011.pdf; "The unidentified lone dissenter at the 2011 IARC meeting was Germany’s Maria Blettner." https://microwavenews.com/news-center/iarc-cell-phone-radiation-possible-human-carcinogen

[10] https://www.diagnose-funk.org/929

[11] https://www.icnirp.org/cms/upload/publications/ICNIRPnote20192020.pdf

[12]  Siehe BERENIS-Newsletter Sonderausgabe November 2018, https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/elektrosmog/newsletter.html

[13] https://academic.oup.com/jnci/article/114/11/1551/6608698?login=false

[14] https://diagnose-funk.org/1508

[15] https://www.icnirp.org/cms/upload/publications/ICNIRPnote20192020.pdf

[16] BfS-Stellungnahme zur Ramazzini-Studie: https://www.bfs.de/DE/bfs/wissenschaft-forschung/stellungnahmen/emf/langzeitstudie-ratten-ramazzini.html

[17] BfS-Stellungnahme zur NTP-Studie: https://www.bfs.de/DE/bfs/wissenschaft-forschung/stellungnahmen/emf/ntp-studie/dossier-ntp-studie.html

https://www.bfs.de/SharedDocs/Downloads/BfS/DE/fachinfo/emf/rtemf/vortrag-ziegelberger.pdf?__blob=publicationFile&v=3

[18] Ron Melnick (2018): Commentary on the utility of the National Toxicology Program study on cell phone radiofrequency radiation data for assessing human health risks despite unfounded criticisms aimed at minimizing the findings of adverse health effects, Environmental Research, Volume 168, January 2019, Pages 1-6, https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0013935118304973, siehe dazu auch: www.diagnose-funk.org/1431

[19] David Michaels & Celeste Monforton (2005): „Erzeugung von Ungewissheit: Umstrittene Wissenschaft und der Schutz von öffentlicher Gesundheit und Umwelt“, Download: www.diagnose-funk.org/1882

[20] Armin Grunwald (2022): Technikfolgenabschätzung, Nomos-Verlag. 3. Auflage

Publikation zum Thema

diagnose:funk
Format: A4Seitenanzahl: 16 Veröffentlicht am: 12.01.2023 Bestellnr.: 250Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

Die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit zu Risiken der Mobilfunkstrahlung

Über Kampagnen eines Kartells von Industrie, Bundesamt für Strahlenschutz und ICNIRP
Autor:
diagnose:funk
Inhalt:
Ob Mobilfunkstrahlung gesundheitsschädlich ist oder nicht, darüber wird nicht nur eine Wissenschaftsdebatte über Ergebnisse der Forschung geführt. Bei dieser Debatte geht es auch und vor allem um Produktvermarktung, in diesem Fall um das Milliardengeschäft einer Schlüsselindustrie. Dieser brennpunkt dokumentiert die Auseinandersetzung. Im Jahr 2022 gab es vier Entwarnungskampagnen, basierend auf vier Studien mit der Botschaft: Mobilfunkstrahlung ist unbedenklich für die Gesundheit, ein Krebsrisiko besteht nicht. Das beweise die MOBI-Kids-Studie, die bisher weltweit größte Studie zu Hirntumoren und Kinder. Mit der UK-Million Women Studie liege auch der Beweis für Erwachsene vor. In einem von ICNIRP-Mitglied Prof. M. Röösli verfassten Artikel zu 5G in der Zeitschrift Aktuelle Kardiologie bekamen gezielt Mediziner diese Botschaft übermittelt. Abgeordneten des deutschen Bundestages wird vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und dem Umweltministerium mitgeteilt, die STOA-Studie, die Schädigungen zu Krebs und Fertilität auswertet, sei unwissenschaftlich. Diagnose:funk nahm zu allen diesen Meldungen Stellung.
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