Offener Brief an das Bundesamt für Strahlenschutz: Aussagen Dr. Leymann zu elektrohypersensiblen Menschen

diagnose:funk fordert von Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz eine Stellungnahme
Auf einer Einwohnerversammlung in Herrischried am 04.07.2022 sagte ein Vertreter des Bundesamtes für Strahlenschutz zu den anwesenden elektrohypersensiblen Menschen, sie seien "von einem Geist verfolgt". Am 12.07.22 berichtete die Badische Zeitung darüber, und zitiert einen Einwohner:"Mit dieser völlig unwissenschaftlichen Aussage, zu der sich wohlgemerkt ein Physiker erdreistete, verriet er als Vertreter einer staatlichen Behörde seine abgrundtiefe Respektlosigkeit...". diagnose:funk wendet sich dazu in einem offenen Brief an die Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz und fordert eine Stellungnahme.

Jörn Gutbier, Vorsitzender diagnose:funk

An Bundesamt für Strahlenschutz, Präsidentin Dr. Inge Paulini

Aussagen Dr. Leymann (Bundesamt für Strahlenschutz) zu elektrohypersensiblen Menschen

Sehr geehrte Frau Dr. Paulini,

auf einer Einwohnerversammlung in Herrischried am 04.07.2022 äußerte sich Ihr Mitarbeiter Dr. Leymann auf herabwürdigende Weise über elektrosensible Menschen, in dem er sie zu Geisteskranken erklärte. Er sagte:
 

  • „Herr Gutbier hat es gerade noch mal gesagt, Aufklärung ist enorm wichtig – und auch Aufklärung der Mediziner, die elektrosensible Menschen behandeln. Das Schicksal dieser Menschen ist wirklich tragisch, weil Sie von einem Geist verfolgt werden. Weil die Leiden dieser Menschen nicht von den elektromagnetischen Feldern hervorgerufen werden, sondern von anderen Ursachen. Es geht darum, die Mediziner aufzuklären, dass sie die Ursachen abklären und nach anderen Erkrankungen oder sonstigen Problemen, die diese Menschen haben, suchen und auch aufklären und nicht Geistern hinterherjagen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir vom Bundesamt für Strahlenschutz nicht nur durch solche Veranstaltungen touren, sondern auch die Mediziner aufklären, damit diesen Menschen wirklich geholfen werden kann. (…)“

Dass betroffene Menschen, die gleichzeitig Kritiker der Mobilfunkpolitik sind, zu Geisteskranken erklärt werden, erinnert an Praktiken totalitärer Staaten. Kein in der Psychiatrie Beschäftigter würde die ihm anvertrauten wirklich gehandicapten Klienten als „geisteskrank“ stigmatisieren. Es war z.B. in der DDR Praxis, dass unliebsame BürgerInnen zu Geisteskranken erklärt und in geschlossene Abteilungen der Psychiatrie eingeliefert wurden. Im Mittelalter wurde so mit angeblichen Hexen verfahren.

Selbst wenn es eine wissenschaftliche Debatte darüber gibt, ob Elektrohypersensibilität eine Tatsache oder eine Einbildung ist, verbietet es sich, sich eines Wortschatzes aus dem Wörterbuch von Unmenschen und vergangener Geschichte zu bedienen. Dass offensichtlich ein solcher Geist im Bundesamt für Strahlenschutz geduldet wird, ist mehr als befremdlich.

Wir weisen Sie darauf hin, dass andere Institutionen diese Debatte sachlich und auf der Grundlage eines humanen Menschenbildes führen. In der vom Technikfolgenausschuss des EU-Parlaments STOA herausgegeben Studie „Health Impact of 5G “ wird ausdrücklich der Schutz elektrosensibler Personen gefordert:

  • „Öffentliche Versammlungsorte könnten "HF-EMF-Verbotszonen" sein (wie beim Zigarettenrauchen), um die passive Exposition von Personen zu vermeiden, die keine Mobiltelefone oder Langstreckenübertragungstechniken nutzen, um so viele gefährdete ältere oder immungeschwächte Menschen, Kinder und elektrosensible Personen zu schützen.“(S. 153, dtsch. Übersetzung)[1]

Der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union (EWSA) schreibt in seiner Stellungnahme im Amtsblatt der EU vom 04.03.2022:

  • „Das Europäische Parlament, der EWSA und der Europarat haben anerkannt, dass Elektrohypersensibilität bzw. Elektrohypersensitivität eine Krankheit ist. Hiervon sind eine Reihe von Menschen betroffen, und mit der Einführung von 5G, für das eine viel höhere Dichte elektronischer Anlagen benötigt wird, könnte dieses Krankheitsbild häufiger auftreten.“[2]

Die Landesärztekammer Baden-Württemberg fordert in ihrer Stellungnahme zum Mobilfunk von 2021 u.a.:

  • „Schaffen von mobilfunkfreien Zonen u.a. in öffentlichen Einrichtungen (Bus, Bahn, Schule, Hochschule, Verwaltung, Kliniken), aber auch im privaten Bereich (Schlafzimmer), Einrichtung einer Koordinierungsstelle zur Sammlung von Meldungen über „Mobilfunk-Nebenwirkungen“, auch für Elektrosensible".[3]

Die Beauftragte der Bundesregierung für Menschen mit Behinderung schrieb am 06.07.2022:

  • „Stellt also heute ein*e Gutachter*in in der Versorgungsverwaltung fest, dass sich jemand durch Mobilfunkstrahlung stark in seiner Teilhabe eingeschränkt sieht, kann daraus schon heute die Feststellung des GdB (Grad der Behinderung) erfolgen, auch wenn Elektrohypersensibilität nicht ausdrücklich in der VersMedV genannt ist.“ (Brief vom 6.7.22 an die Europäische Bürgerinitiative)

Sehr geehrte Frau Dr. Paulini,

mit seiner Aussage hat sich Dr. Leymann für eine weitere Außenvertretung des Bundesamtes für Strahlenschutz disqualifiziert. Oder hat Dr. Leymann mit seiner Aussage die Meinung Ihres Hauses vertreten? Dazu erwarten wir von Ihnen eine schriftliche Stellungnahme bis zum 31.07.2022.

Mit freundlichen Grüßen

Dipl.-Ing. Jörn Gutbier, Vorsitzender diagnose:funk

Quellen

[1] Download der STOA-Studie auf: https://www.diagnose-funk.org/1789

[2] EWSA-Stellungnahme auf https://www.diagnose-funk.org/1828

[3] Positionspapier Landesärztekammer BaWü: https://www.diagnose-funk.org/1758

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Antwort des Bundesamtes vom 15.08.2022

Sehr geehrter Herr Gutbier,

die in Ihrem Offenen Brief vom 14.7.2022 dargestellte Interpretation von Aussagen Herrn Leymanns im Rahmen einer Veranstaltung vom 4.7.2022 macht sich das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) nicht zu eigen. Das BfS nimmt die Leiden sog. elektrosensibler Menschen ernst, forscht seit Jahrzehnten zu diesem Thema und beobachtet und bewertet die internationale Forschung dazu ebenfalls kontinuierlich. Die daraus resultierende Bewertung1 des BfS, die in Übereinstimmung steht mit Bewertungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Strahlenschutzkommission (SSK)2, hat Herr Leymann am 4.7.2022 dargelegt.

Ein respektvoller Umgang ist dem BfS sehr wichtig – wie sicherlich auch Ihnen. Wir möchten Sie deshalb unabhängig vom konkreten Fall auffordern, generell auf öffentliche Anwürfe gegen einzelne Mitarbeitende des BfS zu verzichten.

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag
Christian Raupach
Co-Leitung Kompetenzzentrum EMF – Cottbus

1 https://www.bfs.de/DE/themen/emf/hff/wirkung/hff-diskutiert/hff-diskutiert.html
2 https://www.ssk.de/SharedDocs/Beratungsergebnisse/2021/2021-12-10_Stgn_5G_Mobilfunk.htm

Publikation zum Thema

Auflage Januar 2017Format: A4Seitenanzahl: 84 Veröffentlicht am: 28.09.2016 Bestellnr.: 591Sprache: DeutschHerausgeber: Europäische Akademie für Umweltmedizin (EUROPAEM) – Arbeitsgruppe EMF

EUROPAEM EMF‐Leitlinie 2016 zur Prävention, Diagnostik und Therapie EMF‐bedingter Beschwerden und Krankheiten

Europäische Akademie für Umweltmedizin (EUROPAEM) – Arbeitsgruppe EMF
Autor:
Igor Belyaev, Amy Dean, Horst Eger, Gerhard Hubmann, Reinhold Jandrisovits, Markus Kern, Michael Kundi, Hanns Moshammer, Piero Lercher, Kurt Müller, Gerd Oberfeld*, Peter Ohnsorge, Peter Pelzmann, Claus Scheingraber und Roby Thill
Inhalt:
Ärzte werden immer häufiger mit Beschwerden unbekannter Ursache konfrontiert. Studien, empirische Beobachtungen und Berichte von Patienten weisen ganz eindeutig auf Wechselwirkungen zwischen Beschwerden und der Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern (EMF) hin. Die individuelle Empfindlichkeit gegenüber Umwelteinflüssen wird jedoch meist außer Acht gelassen.
Format: A4Seitenanzahl: 120 Veröffentlicht am: 30.08.2018 Bestellnr.: 711ISBN-13: 978-3-9812598-9-6Sprache: DeutschHerausgeber: Kompetenzinitiative e.V.

Elektrohypersensibilität

Risiko für Individuum und Gesellschaft
Autor:
Franz Adlkofer, Christine Aschermann, Frank Berner, Bernd Irmfrid Budzinski, EUROPAEM Arbeitsgruppe EMF, Karl Hecht, Lebrecht von Klitzing, Wilfried Kühling, Peter Ludwig, Werner Thiede.
Inhalt:
Mit dieser Broschüre hofft die Kompetenzinitiative, die Öffentlichkeit aktuell aufzuklären und elektro(hyper)sensiblen Mitbürgerinnen und Mitbürgern eine nützliche Handreichung zu übergeben für ihre Argumentation gegenüber unaufgeklärten bzw. allzu einseitig „aufgeklärten“ Ärzten, Politikern, Verwaltungsbeamten, Technologen, Firmen, Nachbarn.
Format: A 4Seitenanzahl: 20 Veröffentlicht am: 01.02.2012 Bestellnr.: 215Sprache: Deutsch

Elektrohypersensibilität - Tatsache oder Einbildung?

Ein Forschungsüberblick von Genuis/Lipp
Inhalt:
Ein Forschungsüberblick der kanadischen Umweltmediziner Genuis/Lipp über die Ursachen von Elektrohypersensibilität. Als Download finden Sie den Brennpunkt mit einem Vorwort zur Studie. Der komplette Brennpunkt mit der dt. Übersetzung des Forschungsüberblicks ist beim diagnose:funk - Versand bestellbar.
Brennpunkt März 2020Format: DIN A4Seitenanzahl: 13 Veröffentlicht am: 02.03.2020 Bestellnr.: 239Sprache: DeutschHerausgeber: diagnose:funk

EU-Briefing: „Studien deuten darauf hin, dass 5G die Gesundheit von Menschen, Pflanzen, Tieren, Insekten und Mikroben beeinträchtigen könnte!“

Handreichung für Abgeordnete des des Europäischen Parlaments
Autor:
Wissenschaftlicher Dienst der EU
Inhalt:
Dieser Brennpunkt enthält die Übersetzung einer Analyse des wissenschaftlichen Dienstes der Europäischen Union zur 5G Technologie mit dem Titel: "Briefing: Auswirkungen der drahtlosen 5G-Kommunikation auf die menschliche Gesundheit". Die Kernaussage: "Studien deuten darauf hin, dass 5G die Gesundheit von Menschen, Pflanzen, Tieren, Insekten und Mikroben beeinträchtigen könnte!" Das Papier warnt aus drei Gründen vor der Einführung von 5G: Erstens: Die bestehenden Grenzwerte sind auf 5 G nicht anwendbar. Zweitens: Die Studienlage zu den bisherigen Frequenzen, also GSM, UMTS und LTE weist eindeutig nach, dass sie die Gesundheit schädigen können. Drittens: 5G kann diese Risiken erhöhen. Diese Risiken werden im Briefing mit Hinweisen auf zahlreiche Forschungsergebnisse untermauert. Dieses Briefing ist eine Entscheidungsgrundlage für EU-Abgeordnete, also noch nicht unter dem Druck der Mobilfunkindustrie geglättet oder verwässert.
Format: Antiquarisch erhältlich, z.B. über zvab.comVeröffentlicht am: 00.00.2000

Heilkraft und Gefahren der Elektrizität

Robert O. Becker, 1993
Inhalt:
Das Standardwerk zu den Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Mensch und Tiere, antiquarisch erhältlich.
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