5G-Dialog der Bundesregierung Teil II

Ist 5G der Weg zu einer umweltschonenden Mobilfunk-Infrastruktur? Das eigene Amt widerspricht der Ministerin!
Beim Dialog der Bundesregierung "Deutschland spricht über 5G" ging es v.a. um die Risiken der Strahlung. Umweltministerin Svenja Schulze brachte ein gewichtiges Argument für 5G: Mit ihm könne der Energieverbrauch massiv eingeschränkt werden. Dabei hat sie sich auf ein Gutachten berufen, das ihr Amt in Auftrag gegeben hat.
Energie- und Ressourceneffizienz digitaler InfrastrukturenQuelle: UBA - umweltbundesamt.de

Das Umweltbundesamt (UBA) legt aktuell die Analyse "Energie- und Ressourceneffizienz digitaler Infrastrukturen" vor. Der Hintergrund ist wohl die Dystopie, die der WBGU (Wissenschafticher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) 2019 in seinem Gutachten zeichnet: Als Geschäftsmodell der Industrie ist die digitale Transformation ein Beschleuniger der Umwelt- und Klimakrise. Das UBA-Gutachten bestätigt unsere Forderung, dass jede Kommune einen ökologischen Fußabdruck für digitale Planungen, ob Mobilfunknetz oder WLAN an Schulen, vorlegen muss.

Ein ökologischer Fußabdruck muss die gesamte Produktions-, Nutzungs- und Verwertungskette umfassen. Das UBA-Gutachten untersucht die Frage: Gibt es eine nachhaltige Digitalisierung, kann sie vielleicht sogar der Energieeinsparung und dem Umweltschutz dienen?

Scharfe Kritik des UBA-Gutachtens an der gegenwärtigen Mobilfunk-Ausbaupraxis

In der IT-Branche herrscht eine regelrechte Wachstumseuphorie. Das UBA-Gutachten ist eine scharfe Kritik am Geschäftsgebahren der IT-Branche, die Kernkritiken:

1. Die Mobilfunknetze sind redundant, weil jeder Betreiber sein eigenes Netz hat. Das Gutachten fordert deshalb ein Netz für alle Anbieter:

  • "Wenn Mobilfunkbetreiber Standorte und Geräte gemeinsam nutzen, spart das Energie und Ressourcen, weil Technik nicht doppelt bereitgestellt und betrieben werden muss. Darüber hinaus verbessert es den Netzzugang für alle Nutzer*innen." (S.7) 
  • "Der Ausbau von Mobilfunknetzen soll schlank und ressourceneffizient erfolgen, mit reduzierter mehrfacher Funkabdeckung der gleichen Regionen durch unterschiedliche Anbieter. Dazu sollen für Mobilfunknetze einheitliche und faire Netznutzungsentgelte eingeführt werden, die ein nationales Roaming ermöglichen. " (S.1)

 2. Die Rechenzentren sind Energieschleudern. Deshalb braucht es einen Blauen Engel für Rechenzentren und  Monitoringsysteme zur Eindämmung der Elektronikschrottmengen durch Recyclingsysteme.

3. Das Videostreaming frisst 80% des Datenverkehrs (S.11). Dem muss entgegengesteuert werden, indem die Standardauflösungen der Größe des Displays angepasst (S.2), keine Flatrates mehr für große Datenmengen angeboten werden und Datensparsamkeit finanziell belohnt wird (S.2).

4. Der Konsumwahn, forciert durch Werbung und Schnäppchenpreise "Jedes Jahr ein neues Smartphone" muss aufhören, denn: "Die Herstellung neuer Geräte verbraucht Ressourcen und verursacht Treibhausgas-Emissionen (rund 100 Kilogramm CO2-Äquivalente für ein Smartphone) (S.8, 13)."

5. Das UBA-Gutachten lehnt die Innenversorgung durch Funk ab und fordert die Trennung der Indoor- und Outdoorversorgung: "Der Mobilfunk ist für den Hausanschluss ungeeignet und aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes nicht tragfähig (S.8)."Denn: "Die Übertragung von Daten in Mobilfunknetzen hat einen deutlich größeren ökologischen Fußabdruck als die in kabelgebundenen Breitbandnetzen (S.12)."

Die entscheidende Schlussfolgerung des UBA Gutachtens: Der Ausbau des Glasfasernetzes muss Priorität haben:

  • "Beim Breitbandausbau ist dem Ausbau von energieeffizienten Glasfasernetzen bis zum Endverbraucher klar der Vorzug gegenüber anderen Übertragungstechnologien zu geben."

Das alles sind Forderungen, die diagnose:funk schon immer aufstellt. Die Fakten des Gutachtens mit dem Schwerpunkt auf den Energie- und Ressourcenverbrauch bestätigen eindrucksvoll die Möglichkeit, durch den Glasfaserausbau, durch Roaming, Trennung der Indoor-und Outdoorversorgung und den Verzicht auf immer neue Geräte und Konsumanreize die Umweltbelastung, aber auch die Gesundheitsbelastung durch die Strahlung (die nicht Thema im Gutachten ist), massiv zu senken.

  • Die Gretchenfrage ist nun: Nimmt die Bundesregierung diese Handlungsempfehlungen des UBA-Gutachtens ernst und setzt sie gegenüber den Mobilfunkbetreibern durch?

5 G Nachhaltig? Nur die halbe Wahrheit!

Weil 5G zu weniger Energieverbrauch und Treibhausgasen wie die bisherigen Frequenzbereiche (GSM, UMTS, LTE) führe, empfiehlt das Gutachten seine bevorzugte Anwendung. Damit verlässt das Gutachten die Prinzipien einer gesamtökologischen Betrachtung. Das Gutachten vergleicht die Treibhausgasemissionen im Netzwerk pro Stunde beim HD-Videostreaming:

  • Glasfaser: 2 g (Gramm)
  • Kupferkabel: 4 g
  • 5G: 5 g
  • 4g: 13 g
  • UMTS: 90 g  

Das legt nahe, für Klima und Umwelt müsse man Glasfaser mit 5G kombinieren. Ministerin Schulze propagiert deshalb: 5G sei ein Schritt zum Klimaschutz. Das ist eine Halbwahrheit, die die ganze Wahrheit verdeckt. Denn welche Ziele sollen mit 5G verwirklicht werden? 5G soll der Motor für ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum sein. Das steht im Mittelpunkt aller offiziellen Begründungen.5G soll den explodierenden Datenverkehr ermöglichen, um Milliarden Geräte des Internets der Dinge reibungslos zu vernetzen, das autonome Fahren, die Landwirtschaft 4.0, die Digitalisierung des Militärs ermöglichen. Dafür braucht es Millionen zusätzlicher neuer Senderstandorte und neue riesige Rechenzentren.

Die Ersparnis durch 5G bei einem Einzelvorgang wird durch den Rebound-Effekt, der wesentlich erst eine Folge der erweiterten Möglichkeiten von 5G sein wird, bei weitem zunichte gemacht. Die Analyse und Prognose des Rebound-Effektes fehlt im UBA-Gutachten.

BuchcoverQuelle: Ullstein Verlag

Vorsicht Green-Washing!

Maja Göpel, die Leiterin des WBGU-Sekretariats, geht in ihrem Buch "Unsere Welt neu denken" mit der Unterschlagung des Rebound-Effekts als einer gängigen Methode von Greenwashing ins Gericht. Ein Beispiel: Im Jahr 1970 hatte ein Daimler-Benz PKW 14 l Benzinverbrauch, heute nur noch ca. 6 l. Aber 1970 gab es in Deutschland 15,1 Mio PKWs, heute 47,7 Mio, d.h. mehr als eine Halbierung des Benzinverbrauchs eines PKWs, aber eine Verdreifachung der Autos. Nicht nur, dass dadurch der Gesamt-Benzinverbrauch explodiert ist, es wurden mehr Straßen gebaut, Landschaften zerschnitten und versiegelt, die CO2 Emissionen sind gestiegen, die Luft in den Städten wurde zum Smog. Eine verheerende Gesamtbilanz.

 

Maja Göpel zeigt am Beispiel der Glühbirne, der Dampfmaschine, den Elektrogeräten und am Auto diesen Effekt: Einsparung hat als "paradoxe" Folge einen gesamten Mehrverbrauch:

  • "Eine neue Technik ging sparsamer mit den Ressourcen um, weshalb sie größere Verbreitung fand, was insgesamt jedoch zu einem Mehrverbrauch führte, der dann die Einsparungen wieder zunichte machte oder sie sogar übertraf (Göpel S. 102)."
  • "Wer nur auf das einzelne Produkt sieht oder sogar nur auf einen einzelnen Aspekt des Produkts, verkennt, dass es einen Gesamtrahmen gibt, in dem wir uns bewegen (Göpel S.106)."

Diesen Gesamtrahmen auszuklammern, wie es das UBA-Gutachten tut, bedeutet, so Göpel:

  • "Den Planeten retten, ohne auf Wohstandssteigerung zu verzichten ... Das ist die Idee der sogenannten einfachen Entkoppelung, für die sich viele lange begeistern konnten, weil es so aussah, als könne man Veränderungen erreichen, ohne dass es die Leute merken. Weitermachen wie bisher-nur eben effizienter (Göpel S.102)".

Dieses "Weiter so!" ist Leitlinie der Politik, dem Wachstum huldigen alle im Bundestag vertretenen Parteien, insbesondere bei der Digitalisierung. Mehr Wachstum ist aber die Grundlage der Zerstörung unserer Umwelt, und 5G ist nicht nur das Synonym dafür, sondern auch der Motor. 5G soll einen neuen Wachstumsschub auslösen und wird die Umweltkrisen beschleunigen, denn 5G ist die mobile Hauptschlagader für den Umbau des ganzen Landes für die Geschäftsmodelle der Industrie. Der Sozialwissenschaftler Santarius warnte schon 2018 in der ZEIT:

  • "Wirtschaft und Politik sehen in der Digitalisierung in erster Linie einen neuen Wachstumsmotor. Allein vom Internet der Dinge erwartet man in den nächsten zehn Jahren in Deutschland 30 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne für die Industrie und ein Prozent Wachstum pro Jahr. Aus ökologischer Sicht ist das fatal. Mehr Wachstum bedeutet, dass mehr produziert und verbraucht wird (ZEIT 6/2018)."

Maja Göpel warnt deshalb:

  • "Wenn wir den technologischen Fortschritt weiter so einsetzen wie bisher und ihm keine klare andere Funktion geben als die des kurzfristigen ökonomischen Wachstums und der weiteren Zunahme an Konsum, verschieben wir die Lösung der Probleme unverändert rigoros in die Zukunft (Göpel S.111)."

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BuchcoverQuellen: Westend Verlag/oekom Verlag/Montage: diagnose:funk

Digitalisierung zu Ende gedacht - zwei empfehlenswerte Bücher

Im Gegensatz zur heilen Welt der Digitalisierung, die die vom digitalen Hype besoffenen Bundestagsparteien zeichnen, analysiert der Forschungsbericht der Bosch-Stiftung von Sühlmann-Faul / Rammler (2018) "Der blinde Fleck der Digitalisierung", welche ökologischen Schäden der Energie- und Ressourcenhunger des Geschäftsmodells Digitalisierung heute schon weltweit anrichtet. Die Präsidentin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW)

 

Marie-Luise Wolff (2020) analysiert in ihrem Buch "Die Anbetung. Über eine Superideologie namens Digitalisierung" (Rezension in der Süddeutschen Zeitung), mit welcher Marktmacht die IT-Konzerne die Gesellschaft derzeit umkrempeln und staatliche Regulierung versagt.

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Propaganda anstelle Umweltschutz

Umweltministerin Schulze macht mit der 5G-Nachhaltigkeitspropaganda das Spiel der IT-Branche mit. Mit gutem Gewissen kann man sich nun angeblich 5G Geräte kaufen. In den letzten Jahrzehnten nahm die Umweltzerstörung zu, obwohl alle Industriekonzerne immer versicherten, ihre neuen Produkte seien an der Nachhaltigkeit ausgerichtet. Göpel zieht daraus das Fazit:

  • "Wir brauchen einen Politikwandel, der Nachhaltigkeit nicht als mögliches Nebenprodukt einer ökonomischen Wachstumspropaganda behandelt, sondern direkt auf nachhaltiges Konsumieren, Produzieren und Investieren abzielt (Göpel S.134)."

    "Ein paar Argumente, mit denen diese Gerechtigkeitsfragen in der öffentlichen Diskussion beantwortet werden, habe ich dargestellt:

    - Wirtschaftswachstum wird für Gerechtigkeit sorgen.
    - Effizientere Technik wird für Gerechtigkeit sorgen.
    - Nachhaltiger Konsum wird für Gerechtigkeit sorgen.


    Ich habe dargestellt, dass alle diese Argumente, wenn man sie genauer ansieht, durchweg eine Geschichte erzählen, in der der Kuchen am Ende doch immer größer werden kann, und dass sie sich genau deshalb eher als bequeme Geschichten aus einer Scheinrealität erwiesen haben ... Fakt ist aber, dass wegen genau dieser Geschichten die Fragen danach, wie die Ressourcen des Planeten unter Beachtung der gegebenen Grenzen gerechterweise zu verteilen wären, nicht klar und deutlich gestellt, sondern in eine Zukunft verschoben wurden (Göpel, S.162)."

Die Wachstumsideologie beherrscht die Politik

In dem Essay "Mentale Infrastrukturen: Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam" beschreibt Harald Welzer diesen Mechanismus, der derzeit ein Umdenken in der Politik blockiert. 8 Jahre habe die Menschheit noch Zeit, eine ökonomische, technologische und soziale Umstellung der Produktions- und Lebensweise zu leisten, um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten und Kippeffekte aufzuhalten, so Göpel. Mit der Digitalisierung werden aber die Weichen zur Beschleunigung der Katastrophe gestellt.

Mit den 5 Forderungen zur Mobilfunkversorgung konterkariert das UBA-Gutachten bewusst die von der Bundesregierung unterstützte Praxis der Mobilfunkbetreiber. Aber auch durch die reduktionistische Behandlung der Energie- und Ressourcenproblematik von 5G, was einem Greenwashing gleichkommt, das jedem Naturschützer ins Auge fällt, widerlegt das Gutachten eher unfreiwillig die Argumentation von Umweltministerin Schulze, 5G sei ein Beitrag zum Umweltschutz.

Das alles macht klar: Die Auseinandersetzung der vielen Bürgerinitiativen für ein Moratorium von 5G und kommunale Mobilfunkkonzepte sind ein wichtiger Bestandteil des Umweltschutzes.

Anmerkung: eine Recherche über die ökologischen Folgen der Digitalisierung enthält die neue Broschüre von Jörn Gutbier / Peter Hensinger: Fortschritt 5G. Mythen für den Profit.

Publikation zum Thema

Format: A5 Seitenanzahl: 92, Preis 6,00 Euro Veröffentlicht am: 19.10.2020 Bestellnr.: 788ISBN-10: 978-3-88515-321-4Sprache: DeutschHerausgeber: pad-Verlag 59192 Bergkamen, Am Schlehdorn 6

Fortschritt 5G? Mythen für den Profit.

Smart City, Smart Country, Breitband und 5G – die Folgen für Demokratie, Mensch und Umwelt
Autor:
Jörn Gutbier / Peter Hensinger
Inhalt:
Artikel: Fortschritt 5G? Über 5 Mythen! / Mit Akzeptanz-Managern gegen 5G-Proteste / Zellen im Strahlenstress. Zum Stand der Forschung über Sendemasten, Smartphones, Tablets & Co. Diese Broschüre analysiert im Hauptartikel anhand neuestem Material die Ziele des 5G-Ausbaus und seine Folgen, v.a. auch für die Umwelt. Ein zweiter Artikel beschreibt die Taktiken der Bundesregierung, den Widerstand, der sich trotz der Corona-Krise landesweit entwickelt, in den Griff zu bekommen. Und schließlich stellen die Autoren den aktuellen Stand der Forschung zu den gesundheitlichen Risiken der Mobilfunkstrahlung und 5G dar. Mit 175 Fußnoten sind alle Darstellungen ausführlich dokumentiert. Für alle, die die gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung hinterfragen und v.a. für die Aktivisten der Bürgerinitiativen ist diese neue Broschüre eine Hilfe, sich zu orientieren und ein Nachschlagewerk für neue Argumente in Diskussionen.
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