5G: Vorsorge in der Schweiz und Deutschland – mit juristischem Blick über die Grenze

Von Bernd I. Budzinski, Richter am Verwaltungsgericht a.D.
Flagge SchweizBild: istockphoto.com

1. Der umkämpfte Ausbau von 5G geht offensichtlich weiter. Aber nicht überall! Ein kleines Land inmitten von Europa zeigt, wie es mit etwas Vernunft besser geht. Denn während in Deutschland die Bundesregierung den funkunwilligen Gemeinden Emissäre ins Haus schicken will, die durch passende „Information“ den Widerstand gegen 5G brechen sol­len,[1] sieht die Schweizer Regierung mit Rücksicht auf die „Vorbehalte in der Bevölke­rung“ (!) davon ab, die Grenz­werte[2] zugunsten von 5G zu erhöhen. [3] Und so kommt es im Mobilfunk-Mu­ster­land Schweiz de facto zum „Moratorium für 5G“– so die Betreiber![4]

Welch‘ interessanter Vergleich für das beiderseitige Demokratieverständnis: Hier: Vollstreckung – dort: Innehalten!

2. „Vorbehalte“ in der deutschen Bevölkerung scheinen also weniger zu interessieren: Gut die Hälfte aller Deutschen lehnt ebenso die Errichtung neuer Masten ab, wie sie vor allem für 5G notwendig sind.[5] Und auch deutsche Gemeinden wünschen - wie mehrere Schweizer Kantone - ein ‚Morato­rium für 5G.‘

Doch während in Deutschland die ‚Zuständigkeit’ der Gemeinden für ein Moratorium bezweifelt wird, haben es einige Schweizer Kantone bei vergleichbarer Rechtslage bereits verkündet. Maß­stäbe setzt Genf durch ein förmliches Gesetz mit einem dreijährigen Moratorium sowohl für 5G als auch 4G Plus. Kritische Äußerungen des Bundes zu dieser „Selbsthilfe“ scheiterten offen­bar ­am elementaren schweizerischen Demokratieverständnis, das in der Not auch Elemente von Widerstand zulässt.[6]

3. Wie schlimm muss also die Lage um 5G sein, wenn die zweifellos hochkarätige Rechts­abteilung eines Kan­tons mit der Welt­stadt Genf „so etwas“ umsetzt? Und sind 60 gestandene Abgeord­nete aus dieser Stadt wirklich nur durch eine „populistische Laune zugunsten ängstlicher Bürger“ zum Erlass eines bundes­widrigen Gesetzes „getrieben“ worden (wie man hier schnell einzuwen­den pflegt)? Oder: Sind Schweizer Volksvertreter einfach mutiger als deutsche?

Vielleicht aber haben gar Er­zäh­lungen von hunderten in Genf bei der Gesundheitszentrale der WHO Be­schäf­tig­ten (insgesamt 1250) so folgenschwere Zweifel an der offiziell ver­kün­deten „Harmlosig­keit“ von 5G durchbli­cken las­sen, dass sie bis in den ‚Großen Rat’ des Kantons dran­gen?

4. Das würde zur Feststellung von Forschern passen, die im WHO-Gebäude in Genf die weithin wohl niedrigsten Mobilfunk-Strahlenwerte gemessen haben (ca. 0,1 V/m[7]; Grenz­wert 6 V/m (in Deutschland bis 61 V/m)).[8] Offenbar wird im eigenen Haus der WHO die Vorsorge sehr ernst genommen!  Während deutsche Grenzwerte – teils unter Berufung auf die WHO! - Null Vorsorge enthalten![9]

5. Und während die deutsche Strahlenschutzbehörde das Vorsorgeprinzip system­widrig verleug­net, weil man zwar eine „Unsicherheit hinsichtlich der Tumorwirkung“, aber keinen „Beweis“ (!) habe,[10] stellen die schweizerischen Kollegen klar, dass eben dieser Erkenntnis­stand zur Vor­sorge  genügt: „Das Vor­sorgeprinzip, das Grenz­werte für die Strahlung vor­sieht, die zehn­mal tiefer sind als in den Nach­barländern, muss also auch von diesen Antennen eingehalten werden"[11] (d.h. max. 6 V/m auch für 5G). Sind unsere Entscheidungsträger vielleicht nur schlechter informiert?

6.  Die Qualität der schweizerischen Auswer­tung des Standes der Forschung findet in Deutsch­land in der Tat keine Entsprechung.[12] Übereinstimmend stellten schweizerische Strahlen­schutz­behörde und Regierung von 2013 bis 2019 fest:

A) „Nach wissenschaftlichen Kriterien ausreichend nachgewie­sen ist eine Beeinflussung der Hirnströme; (Anm. d. Vf.: Eben das beklagen tausende Elektro­sensible!).

B) Begrenzte Evidenz besteht:

  • Für eine Beeinflussung der Durchblutung des Gehirns,
  • für eine Beeinträchtigung der Spermienqualität,
  • für eine Destabilisierung der Erbinformation sowie
  • für Auswirkungen auf die Expression von Genen, nämlich
  • den programmierten Zelltod und
  • oxidativen Zellstress.
  • Ob damit Gesundheitsfolgen verbunden sind, ist nicht bekannt, (Anm. d. Vf.: Also ist Vorsorge geboten!).
  • ebenso wenig, ob es bzgl. der Intensität und Dauer Strahlungsschwellen­werte gibt.“[13] (Anm. d. Vf.: Also sind sichere „Grenzwerte“ nicht möglich! Das gebietet erst recht: Vor­sorge!).

7. Auf solches Wissen gestützt konnte der Ständerat des schweizeri­schen Parlaments (Kammer der Kantone) schon 2 Mal die Erhöhung der Anlage/Vor­sor­ge-Grenzwerte für 5G sehr wohl mit Überzeugung ableh­nen[14] – gegen einen enormen Druck der Mobilfunkbetreiber. Und vier Kantone reichten förmlich eine Standesinitiative beim Bundesparlament (Nationalrat) für ein landesweites Moratorium von 5G ein.[15]

8. Es ist an der Zeit, auch in Deutschland den Tatsachen ins Auge zu sehen. Funkwellen sind nicht sicher, z.B. das Entstehen von Krebs bei Ratten bestreitet auch nicht das Bundesamt für Strahlen­schutz.[16] Das zwingt zur Vorsorge, solange keine direkte Abwehr der Gefahr möglich oder gewollt ist. Und erst recht zu einem sofortigen Moratorium, bevor ohne weitere Prüfung die nächsthöhere Stufe an Strahlenbelastung zugelassen wird.

9. Die schwei­­zerische Vorsorgepolitik wäre ein vorläufiger Mindest-Standard, der bald durch eine neue Politik mit Minimierung und Kabelvorrang ergänzt werden muss, besonders auch mit einem Schutz aller Wohnräume ohne weitere Durchstrahlung (d.h. ohne sog. Indoor-Versorgung)! Vorbilder dafür entwickeln 2 bereits gestartete Schweizer Parla­ments­­initiativen – während 3 weitere sich vorbereiten![17]

10. Man würde nun eine umfassende Diskussion des „Schweizer Modells“ auch in Deutschland erwarten. Doch deutschen Medien war und ist dazu so gut wie nichts zu ent­nehmen. So mag hiesigen Gemeinden, die den Mobilfunk und 5G mit einem eigenen Mobil­funk­konzept entsprechend BVerwG 2012 gestalten und minimieren wollen, zu Unrecht das Gefühl vermittelt werden, sie seien die „Einzigen in der Welt, die sich dem Fortschritt entgegenstellten.“

Freiburg, den 12.05.2020                                                          Bernd Irmfrid Budzinski

                                                                                                Richter am VG a.D.

Quellen:

[1] https://www.teltarif.de/5g-netz-ausbau-skeptiker-strahlen/news/80182.html; https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail& newsid=1555#_ftn6  z.B. durch „Multiplikatoren“ = Risikokommunikatoren aus dem neuen Kompetenz­zentrum für Mobilfunk in Cottbus, die ..“Menschen vor Ort schnell und qualifiziert informieren können. Kommunalpolitiker wie Bürgermeister zum Beispiel, oder auch Mediziner in Gesundheitsämtern......“(Paulini, BfS) https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=1519

[2] Gemeint sind die sog. Anlagewerte, die die Funkstrahlung z.B. in Wohnungen zur Vorsorge um den Faktor 10 abschwächen.

[3] https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/elektrosmog/mitteilungen.msg-id-78857.html

[4] https://www.avenir-suisse.ch/publication/was-ein-5g-moratorium-fuer-die-schweiz-bedeuten-wuerde/  Ziff. 3  a.E.: „De facto besteht an einigen Orten bereits ein 5G-Technologieverbot“.

[5] Umfrage von BITKOM und vom BfS: https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Studie-zur-Akzeptanz-von-Mobilfunkmasten; https://doris.bfs.de/jspui/bitstream/urn:nbn:de:0221-2019110720000/3/BfS_2019_3619S72204a.pdf  und https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=1554. - Ebenso viele lehnen das vollautonome Fah­ren ab, wofür 5G stets als unverzichtbar angeführt wird; https://dasdigitaleauto.de/autonomes-fahren-48-der-deutschen-lehnen-vollautonomie-ab/

[6] Gesetz vom 27.2.2020, beschlossen mit 60 zu 35 Stimmen! deutsch:  https://www.computerworld.ch/business/telekommunikation/genf-beschliesst-dreijaehriges-5g-moratorium-2510040.html

frz.: https://www.rts.ch/info/regions/geneve/11125794-moratoire-de-trois-ans-sur-la-4g-et-la-5g-a-geneve.html

[7] Bei diesem Wert haben Bewohner auch im Deutschen Mobilfunkforschungsprogramm oder in anderen Untersuchungen „keine Auswirkungen“ ver­spürt; vgl. 30 Studien im „Leitfaden für Senderbau,“ Schaubild S. 30: Wirkungen setzen oberhalb von ca. 0, 2 V/m ein; http://www.aegu.net/pdf/Leitfaden.pdf

[8] https://www.gigaherz.ch/strahlungsmessungen-im-who-gebaeude-in-genf/ (Hardell; DOI: 10.3892/ijo.2017.4046).

[9] Antwort der BReg vom 4.1.2002 auf die Große BT-Anfrage der CDU/CSU: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/079/1407958.pdf

[10] So die Präsidentin, Paulini, in der taz v. 26.11.2019 (https://taz.de/!5640565/) durchaus widersprüchlich: „Ja, tatsächlich sind wir bei Tumoren nicht auf der sicheren Seite, - auch wissen wir noch nicht, wie sich die Art, wie wir Strahlung ausgesetzt sind, durch 5G ändern wird.“ Aber das ist „alles nicht bewiesen“ und deshalb „nicht sicher schädlich“, so dass man „nicht unbedingt handeln muss“ (Paulini, a.a.O.).       

[11] https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/elektrosmog/dossiers/5g-netze.html  11.06.2019, Nr. 10; gemeint sind sog. adaptive Antennen.

[12] Nur einmal meinte man eher bescheiden im Deutschen Bundestag (TAB 2003): "Von den Studien an menschlichen Probanden erbrachten 79 % positive Befunde. Die meisten Ef­fek­te betreffen das Nervensystem oder das Gehirn (86 %), es folgen Effekte im Zusammen­hang mit Krebs (64 %);" http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/15/014/1501403.pdf Monitoring – „Gesundheitliche und ökologische Aspekte bei mobiler Telekom­munikation und Sendeanlagen – wissenschaftlicher Diskurs, regulatorische Erfordernisse und öffentliche Debatte.“

[13] http://www.bakom.admin.ch/dokumentation/gesetzgebung/00512/04869/index.html?lang=de und Information an die Kantone Mobilfunk und Strahlung v. 17.4.2019; www.bafu.admin.ch › elektrosmog › fachinfo-daten › I...

[14] https://www.nzz.ch/schweiz/-staenderat-will-hoehere-grenzwerte-fuer-5g-mobilfunk-ld.1362988 (Der Journalist hatte im Dateinamen bereits eine positive Entscheidung antizipiert!).

[15] https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/neuenburg-fordert-schweizweiten-stopp-von-5g-antennen-ld.1187794

[16] Paulini (s.o.), taz v. 26.11.2019; https://taz.de/!5640565/: „Diesen Effekt streiten wir auch nicht ab“ (Tumore im Herz männlicher Ratten; NTP)!

[17] https://www.avenir-suisse.ch/publication/was-ein-5g-moratorium-fuer-die-schweiz-bedeuten-wuerde/

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