Die Süddeutsche Zeitung berichtet über sie mit dem Titel "Mama ist ein Zombie. Statt sich mit ihren Kindern zu beschäftigen, sind viele Eltern chronisch vom Smartphone abgelenkt. Diese emotionale Vernachlässigung beeinträchtigt die Entwicklung der Kleinen" (22.06.2018). Die Studie (1) in der Zeitschrift Pediatric Research, herausgegeben von Springer Nature, untersucht die Rolle und den Einfluss digitaler Geräte auf das Eltern- und Kinderverhalten. Eltern, die viel Zeit am Smartphone während gemeinsamer Familienaktivitäten wie Essen, Spielen und Schlafengehen verbringen, prägen ihre Kinder mit lebenslangen negativen Folgen. Diese "Technoferenz" (2) kann bei Kindern Frustration, Hyperaktivität, Jammern, Schmollen oder Wutanfällen führen.
Die Smartphone Nutzung der Eltern hat also eine zweifache negative Auswirkung. (i) Die Studie weist auf massive Störungen der Eltern-Kind-Bindungsbeziehungmit der Folge von Verhaltensstörungen hin, (ii) die Kinder werden schon früh auf das Smartphone geprägt (3). Kinder lernen durch Nachahmung. Wenn schon das Kleinkind sieht, der wichtigste Gegenstand meiner Eltern ist das Smartphone / TabletPC, dann verlangt auch schon das Zweijährige danach. Die Googlification der Sozialisation beginnt.
Monatlich erscheinen derzeit Studien, die negative Folgen dieser Prägung der Kinder auf Smartphones und Tablets nachweisen. Die Plattformen Facebook, Instagram, WhatsApp, die meisten Bildschirm-Spiele sind auf Sucht und Abhängigkeit programmiert, triggern das Belohnungssystem. In einem lesenswerten neuen Artikel "www (WeltWeiteWerbung) und die Folgen Radikalisierung, Spionage, Vertrauens- und Wahrheitsverlust" weist dies Prof. Manfred Spitzer detailliert nach (4). Die Zahl abhängiger, überdrehter, aggressiver und einsamer Kinder mit Aufmerksamkeits- und Lernstörungen nimmt zu. Die Kinder werden zu Gefangenen des Netzes und sind den Manipulationen der IT-Konzerne ausgeliefert. Es bestätigt sich: das Smartphone ist eine Droge. Die WHO nahm im Juni 2018 die Internetsucht als "Internet Gaming Disorder (IGD)" in den ID-11-Katalog als eigene Störung auf (5).
Was Prof. Manfred Spitzer vorausschauend in seinem Buch "Digitale Demenz" analysierte, wird zur Massenerscheinung. Die Reduzierung der sinnlichen Erfahrungen auf das Wischen am Bildschirm, die Reizüberflutung, die Entfremdung von der Natur, die Verkümmerung der Eltern-Kind-Beziehung führen zu Störungen der Psyche. Was Prof. Teuchert-Noodt in ihren Forschungen zu Störungen der Gehirnentwicklung und Prävalenzen zur Sucht herausfand, damit sind nun bereits ErzieherInnen und LehrerInnen konfrontiert (6). Bei 50% der Grundschüler werden Lernstörungen beim Lesen, Rechnen und Schreiben diagnostiziert (7). Die Autoren der BLIKK-Studie fordern deshalb, dass Kinder frühestens ab dem 12. Lebensjahr ein Smartphone bekommen. Wenn nun Kinderschutzorganisationen und Ministerien unter dem Einfluss des Medienhypes und der Lobby sich nicht mehr mit diesen Folgen auf die Eltern-Kind-Beziehung und die Kinder selbst auseinandersetzen, sondern Zeitlimits für die Droge Smartphone nach dem Schema: "Zur Orientierung können folgende Zeitangaben hilfreich sein: 4 – 6 Jahre ca. 20 Minuten/Tag ; 7 – 10 Jahre ca. 45 Minuten/Tag; 11 – 13 Jahre ca. 60 Minuten/Tag," vorschlagen, so ist dies mit einem Anfixen gleichzusetzen. Der Einstieg in die Droge wird damit legalisiert. Und die Kinder werden dazu noch einer für sie besonders krankmachenden Strahlenbelastung ausgesetzt (8).
Es wird Zeit, dass v.a. Kinderschutzorganisationen und Kultusministerien sich mit diesen Folgen auseinandersetzen und aufhören, sich die Bildungspolitik von den Geschäftsinteressen der IT-Industrie diktieren zu lassen. Erziehung zur Medienmündigkeit ja! Aber auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Quellen:
(1) McDaniel, B.T. Radesky, J.S. (2018). Technoference: Longitudinal Associations between Parent Technology Use, Parenting Stress, and Child Behavior Problems, Pediatric Research DOI: 10.1038/s41390-018-0052-6
(2) Da Beziehungen immer mehr von digitaler Informationstechnik beeinträchtigt werden (Interferenz), bekam dieser Zustand jetzt einen Namen: Technoferenz.
(3) Zur zentralen Bedeutung der frühkindlichen Bindungsbeziehung: Strüber N (2016): Die erste Bindung. Wie Eltern die Entwicklung des kindlichen Gehirns prägen, Stuttgart
(4) Nervenheilkunde 2018; 37: 303–311; Schattauer 2018;
(5) Zur IGD siehe auch: Bühring, Petra: Internetabhängigkeit: Dem realen Leben entschwunden, Dtsch Arztebl 2016; 113(49): A-2252 / B-1857 / C-1833
Wartberg, Lutz; Kriston, Levente; Thomasius, Rainer: Prävalenz und psychosoziale Korrelate von Internet Gaming Disorder Studie auf der Grundlage einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe von 12- bis 25-Jährigen; Dtsch Arztebl Int 2017; 114(25): 419-24; DOI: 10.3238/arztebl.2017.0419
(6) Interview mit Prof. Teuchert-Noodt (UMG): Cyberattacke auf die Nervennetze des Gehirns,
(7) Siehe dazu: Hensinger P (2017): iDisorder: Auswirkungen der Digitalisierung des Erziehungswesens auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen umwelt · medizin · gesellschaft | 30 | 4/2017
(8) Peter Hensinger, Isabel Wilke: Mobilfunk: Neue Studienergebnisse bestätigen Risiken der nicht-ionisierenden Strahlung, umwelt · medizin · gesellschaft | 29 | 3/2016
Om P. Gandhi, L. Lloyd Morgan, Alvaro Augusto de Salles, Yueh-Ying Han4, Ronald B. Herberman, Devra Lee Davis: Exposure Limits: The underestimation of absorbed cell phone radiation, especially in children; Electromagnetic Biology and Medicine, Early Online: 1–18, 2011 Copyright Q Informa Healthcare USA, Inc. ISSN: 1536-8378print / 1536-8386; online DOI: 10.3109/15368378.2011.622827
In deutscher Übersetzung als diagnose:funk Brennpunkt erschienen.
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