Debatte über WLAN an Schulen in Südtirol

Unbrauchbares Landesgutachten zu WLAN
Die Verbraucherzentrale Südtirol präsentierte im Mai 2017 ein Gutachten zu WLAN an Schulen, in dem sie die Politik des Landesregierung scharf kritisiert (1). Die Landesregierung beruft sich bei der geplanten WLAN-Einführung auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten, das die angebliche Harmlosigkeit von WLAN nachweist (2). Doch: das Gutachten der Landesregierung verharmlost, verzerrt und verfälscht die Studienlage. Das weist die Verbraucherzentrale Südtirol nach. Vor einem Jahr stellte sie diese Kritik der Öffentlichkeit vor, die Medien berichteten breit. Das Gutachten der Verbraucherzentrale deckt lehrbuchhaft auf, mit welchen Methoden Industrie und Regierungen die Studienlage verfälschen. Bis heute hat die Landesregierung darauf nicht reagiert.
Vorstellung des Gutachtens der Verbraucherzentrale Südtirol, Mai 2017Bild: diagnose:funk

Im Bild v.l.n.r: Jörn Gutbier (diagnose:funk), Walther Andreaus (Direktor VZ Südtirol), Peter Hensinger (diagnose:funk)

Die ganze Geschichte

Am 29.04.2015 fand im Landtag von Südtirol in Bozen eine Expertenanhö­rung zu medizinischen, biologischen, pädagogischen, technischen und juristi­schen Aspek­ten der Mobilfunktechnologie statt. Die Verbraucherzentrale und das Netzwerk der „Bürger­welle“ (Südtirol) konnten dazu auch Experten benennen. Diese waren zu medizinischen und biolo­gi­schen Fragen Prof. Dr. Michael Kundi (Med.Uni. Wien) und Prof. Dr. Fiorenzo Marinelli (CNR Bolog­na), zu pädagogischen Aspekten Magister Peter Hensinger (diagnose:funk, Deutsch­land), zu tech­nischen Aspekten Dr. Ing. Martin-H. Virnich (Deutschland). Diese Experten berichteten über Risiken, die beim Einsatz digitaler Medien berücksichtigt werden müssen (3).

Auf Grund dieser Vorträge wurde im Juni 2015 vom Südtiroler Landtag ein Beschlußantrag (Nr. 378 / 15) diskutiert und mehrheitlich angenommen, wonach in Südtirol das Vorsorgeprinzip angewandt wird (4). Die Landesregierung wird darin u.a. verpflichtet, in öffentlichen Einrichtungen nach Alternati­ven zur WLAN-Versorgung zu suchen und eine Arbeitsgruppe zur Beurteilung der Risiken der Strahlungsbelas­tung einzusetzen. Auch sollten die Auswirkungen der digitalen Medien auf SchülerInnen und ein sinnvoller Umgang für das Lernen damit überprüft werden.

Diese Arbeitsgruppe der Landesregierung wurde dann ohne jegliche Information der Öffentlichkeit eingesetzt und legte am 23.11.2016 ihr Gutachten vor, welches weder von der Öffentlichkeit noch von den Landtagsabgeordneten ohne großen Aufwand gesichtet werden konnte. Die Verbraucher­zen­trale hatte an die zuständige Landesrätin Dr. Deeg angeschrieben und sie gebe­ten, das Gutachten auszuhändigen und die Vorgehensweise zu schildern, wie die Arbeitsgruppe zusam­­men­gestellt wurde, sei es hinsichtlich der Legitimation, sei es in Bezug auf die Qualifikation. Dieses Schreiben blieb bis heute unbeantwortet.

Das Gutachten der Verbraucherzentrale stellt fest, dass die  Meinungen der Experten der  Verbraucher­schüt­zer "sich im Gutach­ten nicht mehr wiederfinden, auch keine Ausei­nan­dersetzung mit ihren Standpunkten. Das Gutachten der Landesregierung gibt den Weg frei für die Einführung digitaler mobiler Medien und WLAN an Schulen, in dem es einseitig Vorteile herausstellt, Nutzen und Risiken nicht gegeneinander abwägt und alle psychosozialen und strah­lungs­­verursachten Risiken als vernachlässig­bar darstellt. Es  ist unwissenschaftlich, verzerrt die Studienlage, in einigen Bereichen wird sie sogar verfälscht dargestellt. Es enthält kein Konzept für eine Erziehung zur Medienmündigkeit. Den Abge­­ordneten werden pädago­gische und medizinische Studienergebnisse vorenthalten. Die Abge­ordne­ten werden desinformiert, die Schülerinnen und Schüler in der Konsequenz schutzlos den Risiken ausgeliefert.

Gesamtfazit: Das Gutachten muss zurück­gezogen werden und eine unabhängige Expertengruppe, die über die notwendige Qualifikation verfügt und nicht vom Auftraggeber abhängig ist, sollte neu eingesetzt werden. Die  Verbraucher­zentrale Südtirol und das Netzwerk der Bürgerwelle sollten für diese neue Expertenkommission ein Vorschlagsrecht erhalten."

Verbraucherzentrale bestätigt: WLAN-Risiken durch mehr als 100 Studien belegt

Im Februar 2018 erschien die bisher größte 2,45 GHz - Überblicksstudie (Review) „Biologische und pathologische Wirkungen der Strahlung von 2,45 GHz auf Zellen, Kognition und Verhalten" (Wilke 2018). Sie dokumentiert mehr als 100 Studien und kommt zu dem Schluss: "Die geltenden Grenz- und SAR-Werte schützen nicht vor den gesundheitlichen Risiken der WLAN-Strahlung. Die negativen Auswirkungen auf Lernen, Aufmerksamkeit und Verhalten begründen für Erziehungsinstitutionen aller Altersstufen einen Verzicht auf WLAN-Anwendungen. Auf Grund der zelltoxischen Wirkungen ist WLAN als Technologie in Krankenhäusern und für die Tele-Medizin nicht geeignet. WLAN sollte nicht in Schlafzimmern, an Arbeitsplätzen, in Aufenthaltsräumen, Krankenzimmern, Hörsälen, Klassenzimmern und in öffentlichen Verkehrsmitteln genutzt werden."(5)

Die Dipl.-Biologin Isabel Wilke steht mit diesen Schlussfolgerungen in ihrer Untersuchung nicht allein.  Bereits 2014 wurde im Springer-Reference-Book  "Systems Biology of Free Radicals and Antioxidants", also auf  hoher wissenschaftlicher Ebene, die Metastudie von Naziroglu/Akman publiziert, die darauf hinweist, dass gerade auch schwa­che WLAN-Strahlung gesund­heits­schäd­lich ist (6). Ein Schädigungsmechanismus wird bereits identifiziert. Der US-Wissenschaftler Prof. Martin Pall legte 2018 in der Zeitschrift `Environmental Research´ einen Review zu WLAN vor, der nachweist, "dass gepulste und dazu polarisierte Strahlung stärkere biologische Wirkung hat, die Dosis-Reaktion oft sowohl nicht-linear als auch nicht-monoton ist, die EMF-Wirkungen oft kumulativ und irreversibel sind, WLAN und andere EMFs besonders schädlich für junge Menschen sein können." So fasst der Fachinformationsdienst ElektrosmogReport das Studienergebnis zusammen (7). Ein aktuelles Studienergebnis, das den Einsatz in KiTas und Schulen konterkariert, veröffentlichte der Elektrosmog­Report im April 2018. Zwei Studien von Shahin et al. (2015, 2018) konnten für WLAN nachweisen: "(1) Verschlechtertes Lern- und Erinnerungsvermögen bei männlichen erwachsenen Mäusen, welche mit 2,45 GHz Mikrowellen bestrahlt wurden. (2) Erhöhtes hippocampisches Stresslevel. (3) Beeinträchtigte synaptische Plastizität. (4) Verrringerte Expression von Signalswegskomponenten, welche für Lern- und Gedächtnisprozesse von hoher Bedeutung sind. Alle oben aufgezählten Wirkungen sind abhängig von der Bestrahlungsdauer, je länger die Bestrahlung desto drastischer die Wirkung. Nach Meinung der Autoren wurde der grundlegende Mechanismus, wie 2,45-GHz-Mikrowellen das Lern- und Erinnerungsvermögen von Mäusen negativ beeinflussen, identifiziert."(8)  

Wir sind gespannt, ob die Südtiroler Landesregierung auf diese Forschungsergebnisse reagiert.

Quellen:

(1) Hensinger P, Gutbier J (2017): Analyse des Gutachtens der Südtiroler Landesregierung zum Einsatz mobiler digitaler Medien und WLAN an Schulen, Bozen/Stuttgart / Analisi della perizia commissionata dalla Giunta Provinciale sull’impiego di mezzi di comunicazione digitale e reti wi-fi nelle scuole della provincia di Bolzano, Bolzano, Stoccarda

(2) Dieses Gutachten kann bei der Landesregierung in Bozen angefordert werden, es liegt diagnose:funk vor, Titel: Antrag Nr. 378/15. Behandlung und Vorschläge, 23.11.2016

(3) Die Vorträge der von der Verbraucherzentrale benannten Experten stehen zum Download auf: https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=498

(4) http://www2.landtag-bz.org/documenti_pdf/RINT_2015-06-10.pdf

(5) WILKE  I (2018): Biologische und pathologische Wirkungen der Strahlung von 2,45 GHz auf Zellen, Fruchtbarkeit, Gehirn und Verhalten. Review: umwelt ・ medizin ・ gesellschaft 2018 Feb 31(1)

(6) NAZIROGLU M, AKMAN H (2014): Effects of Cellular Phone - and Wi-Fi - Induced Electromagnetic Radiation on Oxidative Stress and Molecular Pathways in Brain, in: I. Laher (ed): Systems Biology of Free Radicals and Antioxidants, Springer Berlin Heidelberg, 106, S. 2431-2449

(7) Pall ML (2018): Wi-Fi is an important threat to human health. Environmental Research 164, 405–416. Ausführliche Rezension im ElektrosmogReport April 2018

(8) Shahin S, Banerjee S, Singh SP, Chaturvedi CM (2015): 2.45 GHz Microwave Radiation Impairs Learning and Spatial Mem-ory via Oxidative/Nitrosative Stress Induced p53-Dependent/ Independent Hippocampal Apoptosis: Molecular Basis and Underlying Mechanism. Toxicological Sciences 148 (2), 380–399

Shahin S, Banerjee S, Swarup V, Singh SP, Chaturvedi CM (2018): 2.45-GHz Microwave Radiation Impairs Hippocampal Learning and Spatial Memory: Involvement of Local Stress Mechanism-Induced Suppression of iGluR/ERK/CREB Signal-ing. Toxicological Sciences 161 (2), 349–37

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