Artikel von MicrowaveNews

NTP-Studie: Desinformation durch New York Times

Redaktion verweigert Richtigstellung
Die New York Times veröffentlichte am 31. Mai 2016 einen Artikel von Aaron Carroll, Professor für Kinderheilkunde (Indiana, USA) mit dem Titel: "Warum zu Handys und Krebs keine Panik angesagt ist" (Why It´s Not Time to Panic About Cell Phones and Cancer), in dem er die Teilergebnisse der NTP-Studie in Frage stellt. Die Studie wurde im National Toxicology Program (NTP) innerhalb der National Institutes of Health der US-Regierung durchgeführt. Auf die Argumente von Caroll reagierte Dr. Ronald L. Melnick, der die Konzeption der Nagetierstudie des NTP/NIEHS leitete, mit einem Brief an die New York Times. Die New York Times weigerte sich, die Richtigstellungen von Melnick zu veröffentlichen. Auf dem Portal Micowave News wurde der Brief nun online publiziert.

Die NTP-Studie kam zu dem für die Industrie unangenehmen Ergebnis:  Mobilfunkstrahlung kann zu Tumoren führen. In der bestrahlten Gruppe der männlichen Ratten wurden Tumoren (Schwannom, Gliom) gefunden, und bei einer zusätzlichen Anzahl von Ratten präkanzerogene Zellveränderungen (Hyperplasie von Gliazelle). In der  Kontrollgruppe entwickelten sich keine Tumoren.

Aaron Carroll brachte Argumente gegen die NTP-Studie vor, die dann weltweit von Journalisten abgeschrieben wurden. Seine Methode: scheinbar offene Fragen der Studie nutzt er, um das gesamte Studienergebnis in Frage zu stellen. Darüber könnte man noch diskutieren, aber Carroll geht in den Bereich der bewussten Desinformation. Er unterstellt, dass dem NTP-Report ein Peer-Review Prozess, d.h. die wissenschaftliche Überprüfung, von Fachzeitschriften verweigert wurde. Übersetzt: der Report hätte keine wissenschaftliche Akzeptanz gefunden, eine Höchststrafe. Microwave News fragte bei der Pressestelle des NTP nach, die Antwort: "Kein Teil dieser Arbeit wurde bisher zur Publikation in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift eingereicht." Im Studientext selbst ist klargestellt: er ist eine Vorabveröffentlichung, die selbst schon einen Überprüfungsprozess enthält. Im zweiten Teil des Textes stellen Fachlektoren (Peer Reviewer) ihre kritischen Fragen, die dann direkt für die Öffentlichkeit nachvollziehbar beantwortet werden. Zudem wurden die Ergebnisse von vier unabhängigen Gremien überprüft.  Das unterschlagen Carroll und die New York Times.

Dass Zeitungen ohne große eigene Recherche begierig auf Entwarnungsargumente zurückgreifen ist plausibel:  eines ihrer Hauptgeschäftsfelder ist das Online-Geschäft über Smartphones und Tablets, zudem ist die Mobilfunkindustrie ein potenter Werbekunde. Und die Journalisten selbst hängen 24 Stunden an ihrem Smartphone. So bestimmt das Sein das Bewusstsein. Dass die New York Times die (folgenden) Richtigstellungen von Ronald Melnick nicht veröffentlichte, spricht Bände. 

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Berichtigung von Fehlinformationen über Studien
zu gesundheitlichen Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung

Ich sehe mich dazu gezwungen, diesen Brief zu schreiben. Der Grund sind die zahlreichen unrichtigen und irreführenden Behauptungen von Aaron Carroll, in seiner Kritik an der durch das National Toxicology Program (NTP) durchgeführten Handystudie. Aaron Carroll ist Professor für Kinderheilkunde an der Indiana University School of Medicine (Upshot, New York Times, 31. Mai 2016),

1) Die Aussage, dass man sich für den Bericht des NTP um „eine wissenschaftliche Überprüfung bemüht habe, aber dass er von keinem Herausgeber angenommen wurde“ ist schlichtweg falsch. Man fragt sich zudem, woher Carroll solche Fehlinformationen erhalten hat oder ob er sich einfach entschloss, seine eigenen Tatsachen zu erfinden.

2) Während Carroll anmerkt, dass es sich hierbei um eine Studie an Ratten handelte, unterlässt er es anzumerken, dass jedes für den Menschen krebserregende Wirkmittel bei Tieren Tumore ausgelöst hat, sofern die Untersuchung angemessen durchgeführt wurde. Tiere werden als Modelle für Studien zu Toxizität und Kanzerogenität verwendet, da es unethisch ist, bewusst Menschen Schadwirkungen oder -substanzen auszusetzen, die möglicherweise negative gesundheitliche Wirkungen hervorrufen. Dazu gehört auch Krebs, bei dem es eine lange Latenzzeit zwischen der Exposition und dem Auftreten der Krankheit gibt.

3) Die Beobachtung einer deutlichen Zunahme von Krebs bei männlichen, aber nicht bei weiblichen Ratten wird als eine Missachtung der Daten dargestellt. Carroll unterlässt es jedoch, anzumerken, dass solche Forschungsergebnisse bei Tierstudien häufig vorkommen, insbesondere an Standorten, an denen es einen höheren Anteil männlicher Ratten als weiblicher Ratten gibt. Diese Geschlechterdifferenz könnte die Folge einer geringen statistischen Aussagekraft sein, eine Frage, zu der ich mich weiter unten äußere.

4) Carroll behauptet, dass Ratten der Kontrollgruppe, die „früher sterben, für sämtliche signifikanten Ergebnisse der Studie verantwortlich sein könnten“. Diese Behauptung ist aus mindestens zwei Gründen falsch: Erstens gab es keinen statistischen Unterschied beim Überleben zwischen männlichen Ratten der Kontrollgruppe und denen, die gegenüber CDMA bei 6 W/kg exponiert wurden (die Gruppe mit der höchsten Rate von Gliomen und Herz-Schwannomen). In der 94. Woche war der Anteil der Überlebenden in diesen beiden Gruppen identisch. Zweitens wurden keine Hyperplasien der Gliazellen (Läsionen, die potenziell zu Krebs führen können) oder Schwannome des Herzens in irgendeiner der Ratten der Kontrollgruppe beobachtet, auch wenn Hyperplasie von Gliazellen in einer Ratte, die CDMA ausgesetzt wurde, bereits in der 58. Woche festgestellt wurde und Schwannome des Herzens in exponierten Ratten bereits in der 70. Woche festgestellt wurden.

5) Carroll scheint die unrichtige Auffassung zu unterstützen, dass, weil die Studie eine geringe statistische Aussagekraft besitzt, mit großer Wahrscheinlichkeit "das Risiko eines fälschlicherweise positiven Ergebnisses höher ist". Ein geringe statistische Aussagekraft bedeutet jedoch, dass die Wahrscheinlichkeit eines fälschlicherweise negativen Ergebnisses höher ist als die eines fälschlicherweise positiven Ergebnisses. Das bedeutet, es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Nullhypothese akzeptiert wird, als ob es keine Wirkungen gäbe, selbst wenn eine tatsächliche Wirkung vorhanden ist.

6) Carroll warnt davor, Ergebnisse der NTP-Studie zu akzeptieren, die er als eine „unzureichende Studie an Ratten“ bezeichnet. Er ist sich wahrscheinlich nicht bewusst, dass der Entwurf dieser Studie bei einer jährlichen Versammlung der Bioelectromagnetics Society vorgestellt wurde, bevor diese Studien begannen. Laut der Meinung eines überwältigenden Teils der Teilnehmer des Treffens würde dies die größte und umfangreichste Studie sein, bei der Tiere Handystrahlung ausgesetzt werden. Die Ergebnisse dieser Studie würden zudem alle anderen Tierstudien zur Kanzerogenität dieser Wirkkraft in den Schatten stellen.

7) Carroll kritisiert die Nützlichkeit von Fall-Kontroll-Studien bei Menschen und lobt zugleich Kohortenstudien. In der Tat sind beide Studien wichtig. Jede von ihnen hat jedoch ihre Grenzen. Carroll unterlässt es anzumerken, dass Kohortenstudien zu Krebs dann zuverlässig sind, wenn sie in angemessener Weise die langen Latenzzeiten bei der Krebsentstehung sowie die tatsächliche Eigenschaft der Handynutzung durch die teilnehmenden Probanden erfassen (z. B. die Verwendung von Freisprechfunktion oder Headsets, die Frequenz sowie die Dauer der Anrufe und die Art des Handys, usw.). Die Fehleinstufung der Exposition in Kohortenstudien führt im Allgemeinen zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit eines negativen Ergebnisses.

8) Carroll bringt Argumente gegen einen Zusammenhang zwischen Hirnkrebs und Handynutzung vor und begründet dies damit, dass die Fälle von Hirnkrebs in der USA seit den späten 1980er Jahren nicht zugenommen haben. Dabei unterlässt er es jedoch, darauf hinzuweisen, dass leider Glioblastome mit einer hohen Todesrate im selben Zeitraum zugenommen haben.

Meiner Ansicht nach würde ein Kinderarzt unverantwortlich handeln, wenn er oder sie die Konsequenzen der Krebsdaten zur Handynutzung bei Menschen und Tieren kennen und verstehen würde, dann aber den Eltern seiner Patienten keine Ratschläge zur Vorsorge geben würde.

Dr. Ronald L. Melnick

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Dr. Ronald L. Melnick leitete die Konzeption der Nagetierstudie des NTP/NIEHS. Melnick war leitender Toxikologe und Direktor für spezielle Programme im Programm zu Umweltgiften (Senior Toxicologist and Director of Special Programs in the Environmental Toxicology Program) des National Institute of Environmental Health Sciences (NIEHS; US-amerikanisches staatliches Institut für Wissenschaften zu Umwelt und Gesundheit), National Institute of Health (US-amerikanisches staatliches Institut für Gesundheit) und ist jetzt im Ruhestand.

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