Ehrliche Aufklärung zur Handystrahlung

Prof. Adlkofer zur NTP-Studie der US-Regierung
Professor Franz Adlkofer koordinierte das REFLEX-Projekt, eine von der EU finanzierte Studie zur Untersuchung zur Gentoxizität der Mobilfunkstrahlung. diagnose:funk befragte ihn zu seiner Einschätzung der Bedeutung der Studie der US-Regierung im National Toxicology Program (NTP), bei der das Tumorrisiko durch Mobilfunkstrahlung nachgewiesen wurde.
Prof. Franz AdlkoferBild: stiftung-pandora.eu

Interview mit Prof. Franz Adlkofer zu NTP-Studie der US-Regierung / 08.06.2016

"Das Gebot der Stunde wäre eine ehrliche Aufklärung der Bevölkerung"

Herr Adlkofer, haben Sie die Ergebnisse der NTP-Studie überrascht? Was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse? Wie beurteilen sie Qualität und Aussagekraft der Studie?

Bei der NTP-Studie handelt es sich nicht nur um den aufwändigsten und umfassendsten, sondern sicherlich auch um den am besten geplanten und am besten durchgeführten Tierversuch zur Frage der krebsverursachenden Wirkung der Mobilfunkstrahlung. Sie genügt nach Aussage der American Cancer Society (1) höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen, was sie wie folgt begründet: 1) Die NTP-Forscher verwendeten die doppelte Anzahl von Tieren, die für diese Art von Studie erforderlich ist; 2) Sie beriefen nicht nur ein Gremium,  sondern 4 Gremien ein, um sicherzustellen, dass es sich bei den von ihnen festgestellten Hirn- und Herztumoren tatsächlich um solche Tumore handelt; 3) Sie beauftragten mit der Überprüfung der Ergebnisse zusätzlich mehrere Wissenschaftler außerhalb des NTP. Die NTP-Forscher gingen übrigens  bei der Planung der Studie nach eigenem Bekunden davon aus, dass die von der unabhängigen Wissenschaft bereits damals vertretene Vorstellung von der kanzerogenen Wirkung der Mobilfunkstrahlung ein für allemal widerlegt werden würde. Die Tatsache, dass genau Gegenteil eingetreten ist, verleiht ihren Ergebnissen eine ganz besondere Bedeutung.

Sie koordinierten bis 2004 die bis dato größte Studie zur Gentoxizität, die REFLEX-Studie, finanziert von der EU. Sie ergab bei Bestrahlung von Zellkulturen DNA-Strangbrüche, also eine Vorstufe von Krebs. Die NTP-Studie wurde an Ratten durchgeführt. Worin sehen Sie Parallelen, worin Unterschiede?

Die Ergebnisse der REFLEX-Studie, die von 2000 bis 2004 durchgeführt wurde, zeigen, dass die Mobilfunkstrahlung in isolierten menschlichen Fibroblasten und in transformierten Granulosazellen von Ratten DNA-Strangbrüche  auslösen und damit ihre Gene schädigen kann. Die Autoren der REFLEX-Publikationen gingen wie die  NTP-Forscher in der Planungsphase von der Wirkungslosigkeit der Mobilfunkstrahlung  aus und sahen sich zu ihrer Überraschung ebenso wie die NTP-Forscher am Ende gezwungen, die Nullhypothese zu verwerfen. Der wesentliche Unterschied zwischen der REFLEX-Studie und der NTP-Studie besteht natürlich darin, dass es sich bei der REFLEX-Studie um eine Reagenzglasstudie handelt, die im Gegensatz zum Tierversuch der Grundlagenforschung angehört. Dies bedeutet jedoch nicht nur, dass sich beide Studien gegenseitig ergänzen, sondern sich darüber  hinaus in ihrer Aussagekraft verstärken. Es ist hinreichlich bekannt, dass die Ergebnisse der REFLEX-Studie von Professor Alexander Lerchl, ehemals Mitglied der Strahlenschutzkommission, und Professor Wolfgang Schütz, ehemals Rektor der Medizinischen Universität Wien, in einer seit 2008 laufenden internationalen Kampagne als gefälscht dargestellt wurden, und was Lerchl angeht, immer noch als fabriziert dargestellt werden. Lerchl wurde die Wiederholung und Verbreitung dieser Falschbehauptung vom Landgericht Hamburg 2015 verboten und die Medizinische Universität zog die verleumderischen Pressemitteilungen ihres ehemaligen Rektors inzwischen aus ihrem Archiv zurück (2). Für mich besteht kein Zweifel, dass die internationale Mobilfunkindustrie die Meute ihrer Söldner wie einst auf die REFLEX-Studie auch auf die NTP-Studie loslassen wird.

Wie erklären Sie sich, dass die US-Forscher noch vor der Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit gingen, eigentlich ein ungewöhnlicher Vorgang?

Ob die NTP-Forscher mit diesem ungewöhnlichen Schritt ausschließlich ihrem Gewissen als Wissenschaftler folgten, das von ihnen im Hinblick auf die Bedeutung ihrer  Ergebnisse verlangte, die Öffentlichkeit unverzüglich vor den möglichen Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung zu warnen oder ob sie mehr von der Angst getrieben waren, dass ihnen weiteres Verschweigen ihrer Ergebnisse irgendwann als persönliches Versagen im Dienste der amerikanischen Gesundheitsbehörde ausgelegt werden könnte, entzieht sich meiner Kenntnis. Die American Cancer Society, die aufgrund der NTP-Ergebnisse einen Paradigmenwechsel in unserem Verständnis von Strahlung und Krebsrisiko sieht, stellt dazu fest, dass die NTP-Forscher sich der potenziellen Bedeutung ihrer Studie nicht nur bewusst waren, sondern auch zu ihrer Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit standen. Dies allein zählt.

Wenn die NTP-Ergebnisse  also die REFLEX - Studie zumindest indirekt bestätigen, wie kommentieren Sie dann die Aussage von Prof. Lerchl,  ehemaliger Vorsitzender der Strahlenschutzkommission, Ausschuss nichtionisierende Strahlung, in seinem Buch von 2008 zu den REFLEX-Ergebnissen:"Sollten sie sich bestätigen, wäre dies nicht bloß ein Alarmsignal, sondern der Anfang vom Ende des Mobilfunks, da DNA-Schäden die erste Stufe zur Krebsentstehung sind."

Prof. Alexander Lerchl hat dieses Statement, das er inzwischen bereuen dürfte, der REFLEX-Studie  gewidmet, um seine Geringschätzung ihr gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Obwohl ihn inzwischen selbst eigene  Forschungsergebnisse eines Besseren belehrt haben sollten, die den früheren Nullergebnissen seiner Pseudoforschung im Rahmen des Deutschen Mobilfunk-Forschungs-programms entschieden widersprechen,  bleibt er – auftragsgemäß oder aus persönlicher Überzeugung – dabei, dass die Mobilfunkstrahlung unterhalb der bestehenden Grenzwerte gesundheitlich unbedenklich ist. Im Gegensatz zu Lerchls Meinung kann die Gentoxizität der Mobilfunkstrahlung entsprechend dem Stand der Forschung inzwischen als gesichert angesehen werden. Trotzdem gibt es nicht den geringsten Hinweis dafür,  dass  der Mobilfunk am Anfang seines Endes steht. Was endlich nottut, wären ernsthafte Bemühungen von Industrie und Politik, den Mobilfunk den Bedürfnissen des menschlichen Organismus anzupassen. Lerchls Versagen besteht letzten Endes darin, dass er es als Mitglied der Strahlenkommission unterlassen hat, Politik und Industrie rechtzeitig auf die Notwendigkeit baldigen Handelns aufmerksam zu machen.

Verschiedene Studien der letzten 15 Jahre weisen auf krebsauslösende und promovierende Wirkung von EMF hin. Wenn Sie die Ergebnisse aus Zellstudien, wie der REFLEX-Studie, aus Tierexperimenten wie von Tillmann (2010) und Lerchl (2015) (3), die eine krebspromovierende Wirkung nachwiesen, aus der Epidemiologie wie den Hardell-Studien (4), im Gesamten betrachten, wie würden Sie dann den Stand der Studienlage und des Risikos charakterisieren?

Die Risikoabschätzung bei Schadstoff- oder Strahleneinwirkungen jeglicher Art hat die Ergebnisse der Reagenzglasforschung, der Tierversuche und vor allem der Epidemiologie, die die Auswirkungen am Menschen erfassen, zu berücksichtigen. Wenn diese drei unterschiedlichen Forschungsrichtungen unabhängig voneinander zugunsten eines kanzerogenen Potenzials der Einwirkung sprechen, kann dieses mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als gesichert angesehen werden. Dies trifft für die Mobilfunkstrahlung ohne jede Einschränkung zu.  Worüber man bei ihr noch streiten kann, ist die Größe des Risikos, das der Menschheit zugemutet werden darf. Darüber wird die Politik alsbald  Auskunft gegen müssen. 

Wenn die Politik auf die Wissenschaft hören würde, was müsste sie jetzt unternehmen?

Zunächst müssten die in der Strahlenschutzkommission, dem Bundesamt für Strahlenschutz und dem Bundesumweltministerium bisher für den Strahlenschutz der Bevölkerung zuständigen Wissenschaftler durch Wissenschaftler ersetzt werden, die sich nicht dem Schutz der Strahlen, sondern dem Schutz der Menschen vor den Strahlen verantwortlich fühlen.

Das Gebot der Stunde wäre ferner eine ehrliche Aufklärung der Bevölkerung über mögliche Risiken der Mobilfunkstrahlung sowie die Einleitung erster Vorsorgemaßnahmen zu ihrem Schutze. Neben der Aufklärung über persönliche Maßnahmen zu Verminderung der Strahlenbelastung böte sich in einem ersten Schritt eine drastische Senkung der bestehenden Grenzwerte an.

Da die Grenzwerte auf einer Vorstellung beruhen, die ohne wissenschaftliche Grundlage ist, müssten sie möglichst rasch durch biologisch begründete Grenzwerte ersetzt werden (5). Dazu bedürfte es intensiver Forschung in hochqualifizierten Forschungseinrichtungen, die über die wissenschaftlichen Voraussetzungen verfügen und gegenüber  jeglicher Einflussnahme von Seiten der Industrie erhaben sind.  

Anmerkungen zum Interview von diagnose:funk:

(1) Stellungnahme der American Cancer Society  (ACS)  in Deutsch und Englisch auf:  https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail&newsid=1084

(2) siehe dazu die Dokumentation: "Die Medizinische Universität Wien zieht die Pressemitteilungen  zur REFLEX - Studie zurück", 07.06.2016 http://www.pandora-stiftung.eu/downloads/pandora_160602_wien-reflex-pm.pdf

(3) Tumor promotion by exposure to radiofrequency electromagnetic fields below exposure limits for humans. Lerchl et al., Biochem Biophys Res Commun 2015; 459 (4): 585 - 590

Indication of cocarcinogenic potential of chronic UMTS-modulated radiofrequency exposure in an ethylnitrosourea mouse model. Von: Tillmann T, Ernst H, Streckert J, Zhou Y, Taugner F, Hansen V, Dasenbrock C ; Int J Radiat Biol 2010; 86 (7): 529-541

(4) Die Ergebnisse der Hardell-Studien und einen Studienüberblick enthalten Hardell/Carlberg: "Das Hirntumorrisiko im Zusammenhang mit der Nutzung von Mobil- und Schnurlostelefonen", Download auf http://www.pandora-stiftung.eu/archiv/2014/drei-vortraege-der-tagung-der-kompetenzinitiative.html  und der Artikel von Hardell, Carlberg, Gee  im Band "Late Lessons - Early Warnings, Band II" der Europäischen Umweltagentur, Kapitel 21: "Mobile phone use and brain tumour risk: early warnings, early actions?"

(5) Die  unwissenschaftliche Vorstellung ist das thermische Dogma. Zur  Geschichte der Grenzwerte siehe den Artikel von Franz Adlkofer: "Der Umgang der Politik mit dem Strahlenschutz der Bevölkerung. Ein geschichtlicher Rückblick", Download: http://www.pandora-stiftung.eu/archiv/2014/drei-vortraege-der-tagung-der-kompetenzinitiative.html ; dazu sind zwei diagnose:funk Brennpunkte erschienen: "Warum Mobilfunk-Grenzwerte und die SAR-Werte für Handys nicht schützen", "Kann die nicht-ionisierende Strahlung des Mobilfunks Zellen schädigen?", Download: https://www.diagnose-funk.org/publikationen/diagnose-funk-publikationen/brennpunkt

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