Frankreich & Belgien: Schutz vor funkenden SmartMetern

Neue Urteile zu Verbrauchszählern schützen Elektrosensible
Die Gerichte in Frankreich und Belgien lassen Elektrohypersensible, die unter Smart Metern leiden, nicht mehr im Stich.
Smart Meter, Carlos P., Wikipedia

Götterdämmerung für Smart Meter?

 

Die Gerichte in Frankreich und Belgien lassen Elektrohypersensible, die unter Smart Metern leiden, nicht mehr im Stich.

von Bernd I. Budzinski

 

 

 

 

I.

Mit einem Paukenschlag hatte erstmals das Obergericht von Grenoble[1] (cour d’appel) in Frankreich schon am 10. März 2020 entschieden:

1. Das Vorsorgeprinzip verlangt, die Antragstellerin (Betroffene) nicht dem Risiko einer Ver­schlechterung ihres Gesundheitszustands durch Einführung neuer Strahlenquellen aus­zu­set­zen, die für sie wegen Elektrosensibilität medizinisch unverträglich sind.

2. Dem Stromversorger ENEDIS wird daher untersagt, entgegen ihrem Willen und jeder sich in ihrer Wohnung aufhaltenden Person einen elektronischen Strom­zähler namens „LINKY“ oder ein gleiches oder wegen seiner Eigenschaften gleich­arti­ges Gerät einzubauen.

3. Und er wird verpflichtet, ihre Anschlüsse nur mit Strom zu beliefern, der von jeglichen ihm aufgeprägten Signalen des Stromzählers „LINKY“ – auch aus der Nachbarschaft – frei ist.  

II.

Das Obergericht von Bordeaux (cour d’appel) wiederholte kurze Zeit später am 17.11.2020[2] diese Entscheidung mit der weitreichenden Feststellung:

1. Es gibt kein nationales oder europäisches Gesetz und auch keine Verordnung, die den Strom­versorger ENEDIS, ein privates Wirtschaftsunternehmen und Inhaber der Konzession, ver­pflichten, in allen Wohnungen elektronische Stromzähler vom Typ „LINKY“ einzubauen.

2. Die Erhebung des Stromverbrauchs alle 30 Minuten stellt zudem ein unzulässiges Eindrin­gen dar, das geeignet ist, Informationen über das Privatleben zu erhalten wie etwa die Zubett­geh- und Aufstehzeiten oder die Zahl der anwesenden Personen in der Wohnung.

3. Zum Schutz der Bewohner vor den elektromagnetischen Feldern der Zähler im Stromnetz ist der Stromversorger zu Recht in der Vorinstanz verpflichtet worden, Filter einzubauen.

III.  

2023 verpflichtete ein französisches Gericht erster Instanz in Valence[3] den Stromversorger zum Ausbau des Zählers im Eil­ver­fah­ren mit der weiteren Begründung:

Auch private Stromver­sorger stehen nach Maßgabe der ihnen übertragenen öffentlichen Aufgaben in der Pflicht, das alle Behörden treffende Vorsorgeprinzip zu beachten.

IV.

Ein weiterer Paukenschlag erfolgte ebenfalls 2020 durch den belgischen Verfassungsgerichtshof (Cour constitutionelle de Bruxelles).[4] Dieser erklärte die Einbau-Verordnung teilweise für nichtig:

1. Eine Verordnung, die den generellen Einbau intelligenter Zähler anordnet, ist nichtig, soweit sie keine Ausnahme von der Einbaupflicht für elektrosensible Personen vorsieht.

2. Elektrosensible Personen dürfen deshalb den Einbau ablehnen oder den Ausbau des Smart Meters verlangen, bis der Gesetzgeber eine Ausnahmeregelung erlassen hat.    

Man darf hoffen, dass endlich auch deutsche Gerichte ‚erwachen‘.

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Analoger Zähler, Bild:diagnose:funk

Kommentar von diagnose:funk

 

In Deutschland läuft seit Jahren ein Gesetzgebungsprozess, der sog. Smart Meter per Gesetz für alle Endverbraucherhaushalte Stück für Stück verpflichtend machen will. Nach dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende in 2016 unter Schwarz-Rot wurden mit der überarbeiteten Heizkostenverordnung Ende 2021 konkrete Vorgaben gemacht, dass die Erhebung und Speicherung von Verbrauchszählerdaten in Zukunft digital erfolgt und die Übertragung der Daten faktisch an Funktechniken gebunden wird. Davon betroffen sind alle Haushalte in Wohnhäusern mit mehr als zwei Wohneinheiten.

Mit dem Energieeffzienzgesetz vom April 2023, beschlossen von der Ampelkoalition, soll vor allem der Ausbau einer steuerbaren Stromnetzinfrastruktur nochmal beschleunigt und vereinfacht werden.

Das alles führt dazu, das immer mehr Haushalte damit konfrontiert werden, funkende Verbrauchszähler in ihren Wohnungen und Häusern dulden zu müssen. Der überwiegende Teil der Verbrauchszähler wird dabei so angeboten, dass die Datenübertragung per Mobilfunk funktioniert und damit eine davon ausgehende Funkbelastung in teils sehr kurzen Intervallen stattfindet. Nur in den wenigsten Fällen werden hier kabelgebundene Übertragungssysteme benutzt, bzw. sind diese überhaupt verfügbar. Das führt zwangsweise zu einer Funkbelastung in der eigenen Wohnung. Dagegen wehren sich viele Menschen. In Bezug auf den Datenschutz (ständiges speichern, versenden und verarbeiten der persönlichen Daten der Verbrauchszähler) sind in Deutschland noch keine abschließenden Urteile gefällt worden.

Rechtsanspruch auf Schutz vor Funkbelastungen überfällig

Beim Thema Rechtsanspruch auf den Schutz vor unnötigen Funkbelastungen sind wir in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich noch in der Steinzeit. Die Gerichte weigern sich quasi – gedeckt durch die Grundhaltung des Bundesamt für Strahlenschutz – das Thema Elektrosensibilität und Funkbelastungen durch moderne SmartMeter ernsthaft zu diskutieren bzw. daraus einen nötigen Rechtsanspruch abzuleiten. Das muss sich dringend ändern – wissenschaftliche und politische Daten gibt es dafür genügend.

Funkende Zähler und Smart Metering - was gilt? Was ist verpflichtend und was kann ich tun? Informationen auf: https://www.diagnose-funk.org/1774

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Anhang:

Technische Funktion der französischen Smart Meter („LINKY“)[5]

Für eine Bewertung der Entscheidungen ist eine genauere Kenntnis der Arbeitsweise und Eigenschaften der neuen ‚intelligenten‘ Zähler – genannt „Linky“ Typ G1 und G3 – hilfreich:

Die französische Strahlenschutzbehörde ANSES schreibt, dass die Smart Meter (‚Linky’) dem Stromleitungsnetz als Trägerwelle ihre Messungen mit 35, 9 bis 90, 6 kHz (G1 nur: 63,3 bis 74 kHz) aufprägen, diese zu einer Sam­mel­stelle (Gateway) weitergeleitet und von diesem dann via GPRS mit Funk an den Betreiber gesandt werden. Die Messdaten werden einmal pro Tag zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens während weniger als 1 Minute abgerufen. Aber: Da jeder Linky zusätzlich auch als Repeater für andere Smart Meter, deren Signale den Gateway wegen zu großer Entfernung nicht genügend zuverlässig erreichen, eingesetzt wird, kommen deren Abfragen noch hinzu.

Diese Abfragen werden regelmäßig als einzige Belastung dargestellt. Doch es zeigt sich ein reger Datenverkehr:

Denn jeder Linky wird mehrmals am Tag auf seine Erreichbarkeit (alle 10 Minuten; Typ G1 oder 8 Stunden; Typ G3), außerdem auf seine gute Funktion oder Anbindung abgefragt, ferner

  • für die Ermittlung des Verbrauchsindexes (18.00 bis 8.00 Uhr)
  • für  seine tägliche Konfiguration (18.00 bis 23.59 Uhr),
  • für seine tägliche zeitliche Synchronisation (14.00 bis 17.00 Uhr),
  • für die tägliche Statistik zur Funktion der Zähler (12.00 bis 14.00 Uhr),
  • für andere pünktlich notwendige Dienste: spezielle Anfragen der Kunden, der Stromlieferanten, weiterer Betreiber oder der Wartungs- und Unterhaltungsmannschaft.

Die Dauer des Datenaustauschs beträgt für die Erhebung der Indexzahlen und sonstiger Abfragen 150 ms (Typ G1) und zwischen 15 – 176 ms (G3) + (nur bei diesem Typ) Rückantwort von 15 ms.

Bei einer 30 Minuten dauernden 5 Mal wiederholten praktischen Messung durch ANSES in einer Wohnung verursach­te ein Linky G1 tagsüber im Durchschnitt pro Minute 4 bis 6 Datenpakete (während 140 Millise­kun­den). Nachts trat zeitweise und immer wieder ein so starker Verkehr an Kommunikation auf, dass die eigentlichen Messdaten des Tages daraus (messtechnisch) nicht mehr isoliert werden konnten. Zwischen 20 und 50 Datenpakete  täglich in „signifikanter Stärke“ und in zeitlich sehr unre­gel­mäßi­ger Verteilung konnten gemessen werden.

Die Spannung für die übermittelten Signale beträgt 114 (G1) und 134 dBuV (G3) bei normalisierter Impedanz.

In der Mitte des Wohnraumes erreicht die Stärke der Magnetfelder dieser Kommunikation etwa die Größenordnung fluoreszierender Beleuchtung oder von LED-Leuchten, von Bildschirmen oder von elektronischen Ladegeräten – im Durchschnitt aller Messungen etwa 6000-fach unter den zulässi­gen (frz) Grenzwerten (6, 25 μT; elektrisches Feld: 87 V/m). 55 cm neben dem Zähler entspricht das Feld dem Ladegerät eines Laptops (Abnahme des Magnetfeldes mit Entfernung von 10 cm zu 1 Meter = Faktor 10). Aus Nachbarwohnungen sind die Signale dortiger Smart Meter ebenfalls noch messbar, wenn­gleich schwächer. 

Die Magnetfelder des Typs „Linky G3“ hingegen sind sehr schwach und schon nach einigen Metern Abstand nicht mehr vom allgemein vorhandenen Feld zu unterscheiden. Bei diesem Typ gibt es auch längere Übertragungspausen ohne Datenverkehr (bis zu mehrere Stunden). Spitzenwerte  von G3 (35 – 91 kHz) waren 3,5 und 4,4 V/m  und 0,17 und 0,27 μT.

Dem Smart Meter Linky kann zusätzlich seit 2022 ein Funkmodul (ERL) angehängt werden. Dieses über­sendet regelmäßig in „Echtzeit“ – alle 1 bis 2 Sekunden - den Betriebszustand der Anlage, die Verbrauchswerte und den Tarifstand mit 2,4 GHz an die ‚Internet-Box‘ des Hauses oder an ein Smart Phone oder Tablet nach einem WLAN-Protokoll. Dabei wurden 50 cm neben dem Modul Spitzenwerte von 4,99 V/m gemessen (‚Mittelwert‘ über 6 Minuten: 0,18 V/m).

Der ‚Mittelwert‘ einer weiter sendenden Sammelstelle (GSM 1800 MHz) beträgt laut ANSES in 50 cm Abstand 0,5 V/m (Der Spitzenwert wird nicht genannt!) oder 1,8 W/kg. Es bleibt offen, welchen Wert in Volt/Meter der gleichfalls verwendete GSM-Funk mit 900 MHz bei der deutlich höheren Leistung von 2,7 W/kg erreicht. Insgesamt sei die Strahlung der Sammelstelle mit einem GSM-Handy vergleich­bar. Die ‚Mittelwerte‘ der im 2 GHz-Band sendenden Zähler erreichten angesichts ihrer 10-fach geringeren Sendedauer oder -häufigkeit als ein lokales WLAN-Netz nicht dessen, sondern nur geringere Intensität. 

Für Gas und Wasser gibt es (auch) in Frankreich Smart Meter mit Funkmodul.

Dieses sendet die Messdaten mit 169 MHz an eine Sammelstelle (Gateway) 2 bis 6 Mal täglich in weniger als einer Sekunde. Der auf dem Dach anzubringende Gateway sendet die gesammelten Daten über GPRS/G3 mit 868-870 MHz (Véolia) weiter.  

Exkurs von ANSES:  Zur Exposition von Kindern in den Wohnungen weist ANSES (S. 19) darauf hin, dass die Möglichkeit starker Effekte („aigus“) auf die Kognition auf Grund methodisch zuverlässiger  experimenteller Studien („méthodologie bien maîtrisée“) inzwischen als gesichert angenommen werden kann und auch das Verhalten beeinflusst zu werden scheint.

Direkte Auswirkungen von ‚Linky“ seien aber bisher wenig erforscht bzw. nicht nachgewiesen worden.

Quellen

[1]     https://www.leguevaques.com/Linky-double-victoire-devant-la-Cour-d-appel-de-Grenoble_a649.html    CA Grenoble, 10 mars 2020 Mme D. contre Enedis_anonymisé.pdf  (146.29 Ko)

[2]     (Robin des Toits - 21 nov. 2020)   CA-Bordeaux-1re-ch-civ-17-nov-2020-n-1902419.pdf  (147.15 Ko)

[3]    Beschluss v. 29.06.2023 https://infodujour.fr/wp-content/uploads/2023/07/Ordonnance-du-juge.pdf

[4]  Arrêt n° 162/2020 du 17 décembre 2020, 7174 (auf Anforderung auch auf Deutsch);  https://www.const-court.be › public › f › 2020 › 2020-162f.pdf

[5]  In Auszügen entnommen einer Untersuchung und Weisung der frz Strahlenschutzbehörde ANSES:  AVIS DU 5 DÉCEMBRE 2016 RÉVISÉ1;  https://www.anses.fr/fr/system/files/AP2015SA0210Ra.pdf

Artikel veröffentlicht:
11.10.2023
Autor:
Bernd I. Budzinski, Verwaltungsrichter a.D.
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